Seite 1: Phasen, Trichterprinzip und Spielregeln, Moderation
Unter der Zukunftswerkstatt versteht man eine Methode, die unter Einbeziehung von Moderator/innen die Selbstorganisation, Wahrnehmungsfähigkeit, Fantasie und Handlungskompetenz der Teilnehmenden fördert und Möglichkeiten zur Realisierung gemeinsamer Ideen entwickeln hilft und in der Umsetzung beratend begleitet.
Ihr Anwendungsfeld geht mittlerweile weit über die ursprüngliche Intention und Zielgruppe von Robert Jungk und Norbert R. Müllert hinaus, die mit Zukunftswerkstätten eine »Demokratisierung von unten« fördern wollen. Durch ihre dialogische, partizipative und ergebnisoffene Form bieten sich Zukunftswerkstätten als Ermöglichungsräume für Such- und Aushandlungsprozesse von Individuen und Organisationen an. Kamen in den 70er und 80er Jahren die Teilnehmenden vor allem aus Betroffenengruppen, Bürgerinitiativen und gesellschaftspolitisch engagierten Gruppen, so finden heute Zukunftswerkstätten in nahezu allen Bereichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens Anwendung.
Phasen einer Zukunftswerkstatt
Der klassische dreistufige Aufbau (Kernphasen) mit
- Kritikphase
- Fantasiephase
- Realisierungsphase
hat sich in der Praxis vieler Moderatoren zu einem sieben Arbeitsschritte umfassenden Ablaufmodell weiterentwickelt:
- Vorbereitungsphase
Klärung der Ziele, Fragestellungen und Vereinbarungen - Einstiegs- und Orientierungsphase
Soziales, räumliches und thematisches Ankommen und methodisches Hineinfinden - Wahrnehmungsphase
Bestandsaufnahme: Was ist und warum ist es so? - Fantasiephase
Entwicklung von Visionen: Wo wollen wir hin, was ist unser gemeinsamer »Grund«? - Umsetzungsphase
Verwirklichung prüfen und vorbereiten: Was wollen wir wie angehen und was fördert, hindert uns dabei? - Reflexion
Reflexive Bilanz und Perspektiven - Permanente Werkstatt
Beratung und Begleitung: Projekt- und Organisationsentwicklung
Trichterprinzip und Spielregeln
Ein Grundprinzip ist es, mit verschiedenen Methoden und Arbeitsformen, wie Einzel- und Kleingruppenarbeit und Plenum, die Vielfalt an Gedanken, Einschätzungen und Wünschen auf Seiten der Teilnehmenden anzuregen und für alle sichtbar zu erfassen. Diese Vielfalt gilt es in allen drei Kernphasen in einem gemeinsamen nächsten Arbeitsschritt einzuengen, zu sortieren und zu Themenschwerpunkten (Clustern) zusammenzufassen. Bevor es zu einer vertiefenden Arbeit an ausgewählten Schwerpunkten kommt, entscheiden die Teilnehmenden mit unterschiedlichen »Bewertungsmethoden«, welche ihre wichtigsten Themen sind.
Einige von der Moderation eingebrachte Spielregeln tragen zum Gelingen von Zukunftswerkstätten bei.
Die wichtigsten Spielregeln sind:
- Alle Beiträge werden gleichwertig behandelt, unabhängig von Hierarchien und Rollen.
- Es werden keine verbalen und non-verbalen Killerphrasen verwendet.
- Jede/r hilft jedem und Ideen anderer dürfen aufgegriffen und weiterentwickelt werden.
- Möglichst viele Äußerungen werden visualisiert (meist auf Moderationskarten mit einem Gedanken pro Karte und wenigen Worten in gut lesbarer Schrift).
- Konkret werden, Beispiele nennen.
- Alles ist möglich und erlaubt, es gibt keinerlei Einschränkungen durch »Zwänge« (vor allem in der Fantasiephase).
- Störungen haben Vorrang.
Rolle der Moderation und der TeilnehmerInnen
Die ModeratorInnen fördern den Entwicklungsprozess des Einzelnen und der Gruppe. Sie haben im Vorfeld ein Konzept, ein »Drehbuch« für die Werkstatt entwickelt. Ihre Stärke liegt dann in der situationsgerechten Veränderung des Konzepts. Als Zeit- und Regelwächter sorgen sie für einen strukturierten Gesamtrahmen und Ablauf. Die Teilnehmenden sind mitverantwortlich für Input und Erfolg der Werkstatt.
Seite 2: Leitbildentwicklung,
Lokale Agenda 21, Kinder- und Jugendliche, Dauer, Teilnehmerzahl und Kosten
Zukunftswerkstätten in der Leitbildentwicklung
In Leitbildern auf kommunaler Ebene werden Visionen, Ziele, Strategien und Schlüsselprojekte für eine wünschenswerte, realisierbare Entwicklung von Gemeinwesen erarbeitet und von Kommunalparlamenten beschlossen. Zu Beginn solcher Prozesse können Zukunftswerkstätten, die um Elemente der Zukunftskonferenz erweitert werden, Impulse für eine längerfristige Motivation setzen, sich in thematischen Arbeitskreisen zu beteiligen.
Zukunftswerkstätten in Lokalen Agenda 21-Prozessen
Mit ihrer dialogischen, ergebnisoffenen und demokratischen Form nimmt die Zukunftswerkstatt Kernanliegen der Agenda 21 auf: die aktive Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen an einem Such-, Lösungs- und Gestaltungsprozess in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung vor Ort.
Zukunftswerkstätten mit Kindern und Jugendlichen
Werkstätten mit Kindern und Jugendlichen erfordern eine kind- und situationsgerechte Modifizierung der Zukunftswerkstatt-Methode. So wird häufig auf die Verwendung des Begriffs Zukunftswerkstatt verzichtet, weil Kinder und Jugendliche mit »Zukunft« Ängste und Befürchtungen assoziieren und mit Abwehr statt Neugier auf derartige Angebote reagieren. Gelingt es jedoch spielerische und alltagsweltbezogene Methoden zu finden, kann alles zum Thema werden, was Kinder und Jugendliche bewegt. Zukunftswerkstätten sollten mit kleinen, realisierbaren oder realisierten Projekten enden, um so kurzfristige Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
Förderlich ist ein Menschenbild, das das Subjekt als AutorIn seiner Lebensgeschichte sieht und das über bewusste und noch nicht bewusste Potenziale zur Lebensgestaltung verfügt.
Zukunftswerkstätten schaffen förderliche Rahmenbedingungen, in denen »kreative Felder« im Sinne Burows (1999) entstehen (können). Als Ermöglichungsräume zeichnet sie aus:
- ein verstehender Dialog
- Strukturen, die es erlauben, Stärken und Schwächen der eigenen Person und der jeweiligen sozialen Kontexte offen zu artikulieren
- das Kennenlernen divergenter Sichtweisen
- die Einübung in den Wechsel von Blickrichtungen (Perspektiven)
Dauer, Teilnehmerzahl und Kosten
Ideal ist eine Dauer von zwei bis drei Tagen. Von einer Kurz-Zukunftswerkstatt spricht man, wenn nur ein halber Tag oder ein Tag zur Verfügung steht.
Im Prinzip ist eine Zukunftswerkstatt bereits mit zwei Personen möglich. Bei Teilnehmergrößen bis 15 TeilnehmerInnen reicht ein Moderator. Für Werkstätten mit einer Teilnehmerzahl von 15-40 Personen sind zwei bis drei ModeratorInnen sinnvoll. Gehen die Teilnehmerzahlen über 50 Personen hinaus, ist an den zusätzlichen Einsatz qualifizierter Moderatoren für die Arbeitsgruppen zu denken.
Die Kosten einer Moderation sind abhängig vom Auftraggeber, der Teilnehmergröße und Reichweite des Auftrags (singuläres Ereignis oder Teil eines längeren Entwicklungsprozesses). Zu den Honorarkosten kommen hinzu die Kosten für Vorbereitung, Veranstaltung, Ausstattung, Materialien und Nachbereitung.
Eine gute Vorbereitung ist alles. Hier werden die Weichen fürs Gelingen gestellt. Zu klären sind: die Ziele, das neutral, offen und motivierend zu formulierende Thema, die Fragestellungen für die Wahrnehmungs – und Fantasiephase, Zeitpunkt, Dauer, Teilnehmergröße, Zielgruppen und ihre Erfahrungen, atmosphärische Rahmenbedingungen (Tagungsstätte, Räume, Ausstattung und Verpflegung), Anzahl und Kosten der Moderation, Aufgaben und Verantwortlichkeiten, Aufbereitung (Dokumentation) der Ergebnisse und Entwicklung nach der Zukunftswerkstatt.
Seite 3: Stärken und Schwächen
Zukunftswerkstätten zeichnen sich aus durch:
- einen strukturierten Prozess mit aufeinander aufbauenden Phasen, Zeitstrukturen und Rollenklarheit
- Ergebnisoffenheit bei gleichzeitiger Orientierung auf gemeinsam entwickelte Problemlösungen
- eine partizipative Formulierung der Ziele, Themen und Fragestellungen und partiell selbstgesteuerte Lernprozesse in Kleingruppen
- den Einbezug der Kompetenzen, Interessen und Wünsche der Teilnehmenden
- einen Einsatz kreativer Methoden
- ein Zulassen und Fördern unterschiedlicher Sichtweisen und Blickwinkel
Schwächen liegen in:
- der Ausblendung realer Macht- und Herrschaftsverhältnisse
- der geringen Verbindlichkeit erzielter Ergebnisse (Selbstverpflichtungen, keine Entscheidungsmacht)
- der angenommenen Motivation und Bereitschaft zur offenen, dialogischen Verständigung
- einer (vorschnellen) Einigung auf gemeinsame Nenner ohne präzise Betrachtung von Relevanz und Reichweite der erzielten Ergebnisse
- einer Überschätzung der Ergebnisse durch zu geringe Auseinandersetzung mit personellen Möglichkeiten und Handlungsbereitschaften sowie strukturellen Rahmenbedingungen.