Perspektivenwerkstatt

Seite 1: Initiation, Vorbereitung

Besteht die Notwendigkeit, sich über ein Projekt der Stadtentwicklung zu einigen? Bürger und Gewerbetreibende sind davon betroffen? Verwaltung und Politik ringen schon länger über den richtigen Weg? Es wurden bereits oder werden Experten mit einer Fachplanung beauftragt? Es liegen vielleicht schon verschiedene Entwicklungskonzepte vor? Es geht natürlich auch ums Geld? Aus dieser Interessen-Gemengelage kommt es zu vielen Blockaden, die das Vorhaben zeitlich stark verzögern? Gesucht ist eine Lösung, die wirtschaftlich ist und zugleich Eigentümer, Nachbarn, Investoren und öffentliche Interessen optimal integriert? Das Stadtentwicklungsprojekt soll – trotz scheinbar großer Widersprüche – ein Gewinn für alle werden?  Das alles sind gute Voraussetzungen für eine Perspektivenwerkstatt, ein konsensorientiertes Verfahren zur integrativen Stadtentwicklung.
Unter dem Namen »Community Planning Weekend« wird diese Methode im englischsprachigen Raum seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt:

Ein verlängertes Arbeitswochenende, an dem intensiv – gemeinsam mit Fachleuten und Betroffenen vor Ort – Lösungsideen erarbeitet werden. Das Verfahren kann 50 ebenso wie mehrere hundert TeilnehmerInnen in Arbeitsgruppen, Geländebesichtigungen, Planungstische und Plenen einbeziehen. Als Besonderheit erhält ein multidisziplinäres Team den Doppelauftrag, neben der Moderation der öffentlichen Veranstaltungsteile die Lösungsvorschläge in kürzester Zeit zu einer inhaltlich schlüssigen und graphisch illustrierten »Vision« zusammenzufassen. Es wird also bei dieser Vorgehensweise ein Kommunikationsverfahren mit dem Einsatz klassischer Fachkompetenzen kombiniert.

Auf Grund ihrer integrierenden, partizipativen, schnellen und ergebnisorientierten Arbeitsweise stellt die Perspektivenwerkstatt ein hochaktuelles Instrumentarium der Dialogplanung dar, welches für Standortfragen, im Siedlungsbau, bei Konversionsprojekten bis hin zur Objektplanung von Stadtplätzen, Baulücken oder Industriedenkmalen, bei der Verkehrsplanung genauso wie für umfassende Neuorientierungen im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung entscheidende Impulse liefern kann.

Initiation

Die Perspektivenwerkstatt versucht eine Interessenvermittlung zu erreichen und integrative Planungsszenarien zu entwickeln, die deshalb mehrheitsfähig sind, weil sie für möglichst viele vorteilhaft sind, Missstände beseitigen und einen qualitativen Fortschritt ermöglichen.
Initiatoren und Auftraggeber sind Bürgermeister oder Stadtplaner in Städten und Gemeinden, kommunale und private Wohnungsbaugesellschaften, Investoren und Bauherren, Interessenverbände genauso wie Initiativen und kommunale Aktivisten.
Auftraggeber brauchen für einen solchen Planungsprozess einigen Mut, weil sie vorher nicht wissen können, was in der Sache herauskommen wird. Allerdings können sie sicher sein, dass sich die Durchführung einer Perspektivenwerkstatt auf jeden Fall auszahlen wird, allein durch den enormen Erkenntnisgewinn, der klärend für jede Planungsentscheidung wirkt und deshalb auch vor Fehlinvestitionen schützt. Sicher ist den Veranstaltern auch ein Imagegewinn, denn die Perspektivenwerkstatt trägt weithin sichtbar zu einer modernen und diskursiven Planungskultur bei, ganz im Sinne der Agenda 21.

Vorbereitung: Breite Sicht ist weite Sicht

Die integrative und auch zwischen »Fronten« vermittelnde Funktion der Perspektivenwerkstatt beginnt weit vor der eigentlichen Veranstaltung.  Während der Vorbereitungsphase (ca. 3-6 Monate) kommt es darauf an, zu möglichst vielen lokalen Akteuren Kontakt und Vertrauen zur Mitwirkung aufzubauen.
Erst in Absprache mit unterschiedlichsten Interessengruppen entsteht allmählich das inhaltliche Programm der Veranstaltung. Eine Reihe von öffentlichen Vorbereitungstreffen klärt Schritt für Schritt die organisatorischen Einzelheiten und fordert bereits hier möglichst viele zur Mitwirkung und zum Sponsoring auf.
Angesprochen werden die Anwohner des Gebiets, Stadtplaner, Grundeigentümer, Wirtschaftsunternehmen, potentielle Investoren, Verbände sowie Vertreter der Stadtverwaltung und Politiker aller Parteien. Die Gründung eines sogenannten Unterstützerkreises kann einen wesentlichen Beitrag für eine sach- und konsensorientierte Vorwärtsstrategie leisten.

Seite 2: Öffentliche Arbeitstage, Teamwork, Ergebnis

Öffentliche Arbeitstage: Neue Planungskultur

An ca. zwei Tagen wird intensiv und öffentlich in themenbezogenen Arbeitsgruppen, Ortsbesichtigungen und an Planungstischen möglichst umfassend die Fragestellung des Plangebietes erörtert. Dabei geht es um den Ist-Zustand, bestehende Probleme sowie um konkrete Lösungsvorschläge. Durch offene, konstruktive und aktivierende Arbeitsformen, die im Rahmen einer flexiblen Tagesgestaltung spontan an die jeweilige Teilnehmerzahl und anwesenden Interessengruppen angepasst werden, erleben alle Akteure unmittelbar ein Stück neuer Planungskultur. Es entstehen neue Einsichten in der Sache und die Erfahrung einer konstruktiven Zusammenarbeit quer zu Hierarchien und Zuständigkeiten – auch zwischen Leuten, die sich bereits jahrelang gut zu kennen glaubten.

Teamwork: Umsetzungsfähige stadtplanerische Entwürfe

Es ist die Aufgabe des externen Werkstatt-Teams, auf der Grundlage der Erkenntnisse der Perspektivenwerkstatt einen in sich schlüssigen Vorschlag für die zukünftige Gebietsentwicklung zu erarbeiten, der sowohl die stadt-planerischen als auch die wirtschaftlichen und sozialen Fragen integriert:

  • Inventarisierung konsensfähiger Entwicklungsziele und lösbarer
  • Probleme
  • Ausarbeitung eines integrierten Masterplans
  • Zeichnerische Gesamtansichten mit Detaillierungen
  • Spezifische Vorschläge für bestimmte Flächen und markante Punkte
  • Aktionsprogramme und Umsetzungsschritte
  • Vorschläge für strategische Partnerschaften
  • Empfehlungen für organisatorische Veränderungen und verbesserte Zusammenarbeitsstrukturen

Diese Ergebnisse werden unmittelbar im Anschluss an die öffentlichen Arbeitstage vor Ort erarbeitet. Bereits drei Tage später erfolgt die Präsentation z.B. in Form einer Diaserie und einer Ausstellung.

Ergebnis: Stimmungsumschwung

Dies spiegelt sich in der Zusammenfassung und Visualisierung durch das unabhängige Werkstatt-Team wider:

  • Es entsteht eine »Vision« für die Zukunft des Gebietes inklusive der notwendigen Umsetzungsstrategien, die gemeinsam von verschiedenen Parteien getragen wird und als eine Art Konsenskonzept in nachfolgenden Planungsschritten weiterlebt. Dabei geht es nicht zuerst um Einigkeit in allen planerischen Details, sondern um gemeinsam getragene Grundzüge einer Planung.
  • Das Teamwork-Erlebnis der Perspektivenwerkstatt gibt den Beteiligten eine Art moralischen Anstoß. Oft geht von einer Perspektivenwerkstatt der entscheidende Durchbruch oder Stimmungsumschwung aus. Die gezeichnete Vision wird zum Ausgangspunkt der künftigen Gebietsentwicklung.
  • Viele entdecken durch die Kraft der Visualisierung tatsächlich neue Perspektiven und Möglichkeiten, die ihnen vorher nicht deutlich waren. Dadurch steigt die Bereitschaft, sich mit den wesentlichen Zielsetzungen zu identifizieren. Es wird in hohem Maße Handlungsfähigkeit hergestellt, wo vorher Einzelaktionen, Desinteresse oder auch massive Konflikte einer koordinierten Gebietsentwicklung im Wege standen. Konfrontation kann Kooperation weichen. »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«

Die Ergebnisse werden kurzfristig (Bericht, Website, …) zusammengestellt und als Materialsammlung für die nachfolgenden Umsetzungsschritte der Öffentlichkeit und den Fachleuten übergeben.

Seite 3: Umsetzung

Umsetzung: In mancher Hinsicht ein Neuanfang

Entscheidend für die Implementierung der Ergebnisse ist das Geschick der örtlichen Akteure, die Ergebnisse zu festigen und die noch »junge Tragfläche« neu gebildeter Interessen-Koalitionen weiter zu stabilisieren. Kompromisslinien müssen untermauert und immer wieder neu erläutert werden, vor allem auch denjenigen, die sich neu mit der Sache befassen. Geweckte Eigeninitiative braucht Raum für erste Aktivitäten und Erfolge. Oft müssen vorhandene Strukturen neu angepasst werden, um den inhaltlichen Anforderungen gerecht zu werden. Den Worten müssen Taten folgen...

Mitarbeiter des multidisziplinären Teams sollten bei der Erstellung nachfolgender Rahmenpläne beteiligt bleiben, um die in der Vision zusammengefassten Konsenslinien der Perspektivenwerkstatt kontinuierlich weiter einbringen zu können. Neu auftretende Konflikte können wirkungsvoll nur in dieser Kontinuität bearbeitet werden. Wird die Umsetzungspraxis von den Akteuren abgekoppelt, besteht die große Gefahr, dass Ergebnisse des Verfahrens ausgehöhlt werden und dadurch Skeptiker im Nachhinein bestätigt werden.

Es muss allen Beteiligten deutlich werden, dass das Ergebnis einer Perspektivenwerkstatt ein realistisches Gesamtkonzept darstellt, dessen Umsetzung erst nachfolgend im Einzelnen zu entwickeln ist. Community Planning ist in diesem Sinne ein länger anhaltender Prozess mit aufeinander aufbauenden Arbeitsschritten und Strukturen, die in der Lage sind, das Gesamtprojekt in Teilaspekten umzusetzen.
Erfahrungen mit diesem Verfahren zeigen, dass sich Projekte erheblich zügiger und problemloser verwirklichen lassen, indem unnötiges Misstrauen und Konfrontationsdenken durch die offene und konstruktive Zusammenarbeit ausgeräumt werden. So ergeben sich qualifiziertere Ergebnisse bei gleichzeitiger Zeit- und Mittelersparnis. Die Perspektivenwerkstatt ist aus diesem Grund sowohl für die Immobilienwirtschaft, für Bürgerinitiativen als auch für öffentliche Projekte interessant. 

Der Methode »Perspektivenwerkstatt« wurde von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gemeinsam mit dem Magazin Immobilienmanager der erste Preis im Innovationswettbewerb 1999 verliehen. Ebenso erhielt die Perspektivenwerkstatt Berliner Platz in Essen den Robert Jungk Preis 1999.

Autor

Andreas von Zadow
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