Wodurch entsteht die Motivation zu freiwilligem Engagement? Eine Motivation, die nicht von außen gesteuert ist, dennoch andere zu begeistern vermag, häufig genug Frustration erfährt und trotzdem zu faszinierenden Ergebnissen führen kann?
Im Projekt Gemeinsinn nennen wir sie die »Mag – Kann – Will – Motivation« (kurz: intrinsische Motivation), die von der »Darf – Muss – Soll – Motivation« bereits anhand der sechs deutschen Modalverben unterschieden werden kann. Das »Mögen« (Bedürfnis/Anliegen) fokussiert eher die Gegenwart, das »Können« (Fähigkeit/Ressourcen) die Vergangenheit und das »Wollen« (Vision/Perspektiven) die Zukunft. Beteiligung und Vernetzung nach diesen intrinsischen Mo(tiva)toren auszurichten ist Ziel der »Gemeinsinn-Werkstatt«.
Dabei stellt unsere Definition von »Gemeinsinn« sowohl das »Ich« als auch die natürliche Balance zwischen Individuum und Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Das »Ich« ist bei der Realisierung vieler Motive auf den Austausch mit anderen angewiesen und so entsteht die Suche nach gemeinsamen Mo(tiva)toren. Um diesen Aushandlungsprozess konstruktiv, integrativ und nachhaltig zu gestalten, braucht es soziales Bewusstsein, soziale Fähigkeiten und soziales Engagement, die in der Regel bei jeder und jedem zur Fülle da sind. Wir müssen ihnen nur Raum zur Entwicklung, zum Austausch und zur Umsetzung geben.

Wenn das so einfach ist, warum ist dann Gemeinsinn nicht weiter verbreitet?
Die Forschung zeigt, dass sich die Formen des freiwilligen Engagements verändert haben. Die moderne Gesellschaft fordert viel mehr Eigenverantwortung, Flexibilität und Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Kulturen, Disziplinen, Alters- und Interessengruppen. Kein Wunder, dass dies dann auch von Initiativen erwartet wird, die zur freiwilligen Mitarbeit einladen. Klassische Ehrenämter mit scheinbar lebenslanger Verpflichtung haben es da schwerer als Initiativen, die bedürfnisorientierte Angebote mit überschaubaren Rahmenbedingungen machen.
Dadurch trifft also die große Bereitschaft zu freiwilligem Engagement – so die Forschung – auf wenige adäquate Angebote, und das will das Projekt »Gemeinsinn« verändern. Auf Initiative der Bertelsmann-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Centrum für angewandte Politikforschung wird seit 2000 nach passenden Verfahren gesucht, die Gemeinsinn, Gemeinschaftsfähigkeit und Beteiligung methodisch zu entwickeln helfen.
»Gemeinsinn-Werkstatt« nennen wir ein Projekt-Verfahren, das sich über einen längeren Zeitraum (sechs Monate bis zu zwei oder drei Jahre) erstrecken kann, um ein gemeinsames Anliegen zu bearbeiten. »Bearbeiten« wird hier wörtlich genommen; es geht nämlich um die Umsetzung von geplanten Aktionen innerhalb der Gemeinsinn-Werkstatt als sozialem, regionalem und zeitlichem Rahmen. Entscheidend ist das Engagement all jener, die als Interessengemeinschaft den Prozess verantwortlich gestalten wollen.
Sie können dabei auf die professionelle Hilfe des Gemeinsinn-Begleit-Netzwerks zurückgreifen, das die Initiatoren beraten, methodisch und technisch unterstützen kann. Die benötigten Arbeitsschritte (Verfahren) sind aus der Best-Practice internationaler Beratungs-, Moderations- und Projektmanagement-Methoden abgeleitet und weiterentwickelt worden. Sie alle können Motivation, Beteiligung und Vernetzung anregen und bei der Umsetzung begleiten.
Ein natürliches Phasenmodell, das dem Gesamtprojekt und jeder Einzelphase zu Grunde liegt, ermöglicht die Gestaltung einfacher wie komplexer Prozesse. Unterschieden nach Gruppengröße und Rahmenbedingungen, helfen die verwendeten Methoden dabei, sich selbst zu öffnen, sich mit anderen auszutauschen und gemeinsam auf Wesentliches zu konzentrieren: Aktivierung, Realisierung, Integration! Am Ende des Prozesses wird mit »Integration« das ausgedrückt, was vielfach im hektischen Alltag zu kurz kommt: reflektieren, ernten, feiern und sich entspannen.
Gemeinsinn-Werkstätten kamen seit Oktober 2001 in fünf Modellprojekten zur Anwendung, die alle im weitesten Sinn mit Vernetzung freiwilligen Engagements innerhalb und außerhalb von Initiativen und Organisationen zu tun hatten.
Ein Beispiel für den Aufbau eines Netzwerks zwischen Multiplikatoren in der Präventionsarbeit war Frankfurt/Oder. Unter dem Titel »Toleranz: TOLL statt ranzig!« wollte eine Initiatoren-Gruppe die Vernetzung zwischen den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Akteuren sowie Stadtverantwortlichen und Bürgern verbessern. In mehreren Vorbereitungstreffen wurden Titel, Einladung, organisatorische Arbeiten und die methodische Gestaltung mit einem Begleitteam abgestimmt.
Es entstand ein Werkstatt-Forum, bei dem über 3 Tage unterschiedliche »Märkte« – Forschungs-, Themen- und Aktionsmarkt – stattfanden. Am Ende hatten die Beteiligten ihre Projektideen und Aktionsvorhaben konkretisiert. Ein halbes Jahr später wurden dann auf einem Erntemarkt 13 abgeschlossene Aktionen und ebensoviele weiterlaufende Vorhaben präsentiert, reflektiert und gefeiert.
Ein etwas anderes Beispiel war die Anfrage einer Lehrstuhlprofessorin der Universität Augsburg, die innerhalb ihrer Universität dieses neue Beteiligungsverfahren anwenden wollte. Auch hier wurde ein breites Spektrum an Interessenvertretern eingeladen: Rektorat, Professoren, Verwaltung und Studenten. Schließlich kamen 70 Interessenten aus allen Bereichen der Uni, um in der umgestalteten Mensa an der Optimierung des gemeinsamen Alltags zu arbeiten.
Ein dritter Kontext, den wir mehrfach austesten konnten, war ein »offener Workshop mit thematischer Vernetzung«. Dazu wurde mit bundesweiter Beteiligung jugendlicher Multiplikatoren das Thema »Damit SIE wissen was WIR tun...! – Jugendengagement und Öffentlichkeitsarbeit« angegangen. Ein international besetzter Teilnehmerkreis aus jüngeren und älteren Engagierten konkretisierte Ideen zu »Partnerschaft statt Partizipation – neue Wege der Jugendbeteiligung international« in Berlin. Und projektintern bauten wir mit unserem Verfahren das eigene Begleitnetzwerk in Bad Boll auf: »Gemeinsinn begleiten? Verbesserung, Verbreitung und Vernetzung der Gemeinsinn-Werkstatt« (ausführlichere Berichte unter www.netzwerk-gemeinsinn.net).
Weitere Anwendungsfelder sind die Vernetzung unterschiedlicher Interessengruppen in der Schule, der Gemeinde, des freiwilligen Engagements. Wenn komplexe handlungsrelevante Anliegen mit heterogener Beteiligung angegangen werden, lohnt es sich, die Gemeinsinn-Werkstatt als geeignetes Projektverfahren zu prüfen. Der wertschätzende Fokus des Verfahrens vermeidet zwar keine Konflikte, gibt jedoch die Möglichkeit, gemeinsame Interessen zu entdecken, unterschiedliche Perspektiven kennen zu lernen und einen konstruktiven Austausch bis hin zur Bildung sich ergänzender Aktionsteams zu ermöglichen.