Das Planspiel und das Handlungsspiel

Seite 1: Das Planspiel

Das Planspiel

Spiele und Leben bilden eine Einheit – magisch ineinander verwoben. Die Spiele nehmen die kräftige Farbe der Wirklichkeit an, die Wirklichkeit hat den schillernden Zauber der Phantasie.
(Klaus Mann)

Wer eine politische Aktion vorbereitet, hat das »Kapital« der eigenen Beweggründe, Verbündeten und der gemeinsamen Stärken. Das ist immer nur die eine Seite. Die andere Seite ist das gesellschaftspolitische Umfeld, in der die Aktion geschehen soll. Und dieses Umfeld ist komplex, weit komplexer jedenfalls als »Bewegte« wahrzunehmen in der Lage sind. Schon vor der Aktion können wenigstens einige Aspekte dieser Komplexität bewusst gemacht und eingeschätzt werden, indem die Situation gespielt wird. Planspiel, manchenorts auch Simulation, wird diese Vorbereitungsmethode genannt.

Das Planspiel ist auf der emotionalen Ebene packend und lustvoll. Es eröffnet Einsichten in Zusammenhänge, erweitert die bewusste Wahrnehmung und regt zur Reflexion des eigenen Tuns an. Es »öffnet« also den Spielenden die »Augen«, bezüglich der eigenen Wahrnehmung des Problems, der damit verbundenen Zusammenhänge und auch des persönlichen Verhaltens. Mit dem Planspiel können Antworten auf zwei unterschiedliche Fragen gesucht werden:
Welche Kräfte wirken in dem gesellschaftspolitischen Feld, in dem ich tätig werden will? Und wie verhalte ich mich zweckmäßig, um meine Ziele zu erreichen?

Wie läuft das eigentlich ab? Warum kommen keine Reformen (Veränderungen, Beschlüsse) zu Stande? Wer oder was blockiert, treibt an, verhindert, vernetzt?

Beispiel einer Situation

  • Der örtliche Verkehrsverein will zusammen mit dem Seilbahnunternehmen einen neuen Skilift bauen.
  • Dagegen entsteht eine Opposition aus Anwohnern der Zufahrtsstraße, der örtlichen Sektion des »BUND«,
  • dem Verein »Weitblick in der Schulpolitik«, dem Kulturverein und der grünen Kreispartei.
  • Die Opposition findet zusammen und beschließt, gemeinsam gegen das Skiliftprojekt zu kämpfen.

Im Beispiel könnte nun die Opposition sofort mit einer Eingabe an den Gemeinderat beginnen. Sie könnte sich aber auch einige Fragen stellen: Welche Interessen haben die Befürworter? Welche »Machtmittel« haben sie und wie werden sie sie einsetzen? Wer entscheidet schließlich und wie kann dieser Entscheid beeinflusst werden? Welche Motivationen haben die Oppositionsgruppen? Welche Einflussmöglichkeiten? Wie gehen wir vor, um unser Ziel zu erreichen? Die Opposition könnte also die Eingabe abschicken, könnte aber auch mit einem Planspiel diese Fragen klären. Sie versucht, spielerisch eine mögliche Wirklichkeit zu simulieren. Nun wird in jedem Planspiel die Wirklichkeit ebenfalls reduziert, eben auf das spielerisch Machbare, trotzdem wird eine grundlegend andere Qualität der Komplexität erreicht.

Beispiel der Spielsituation

Alle wichtigen Interessengruppierungen und Beteiligten werden aufgelistet: Einerseits der Hotelierverein, der Gemeinderat, die Handwerker-Innung, die Mehrheitspartei, andererseits die Oppositionsgruppierungen. Der Gegenstand des Konflikts wird formuliert.

Die Interessengruppen und der Gegenstand des Konflikts sind bekannt. Nun werden kurze und möglichst offene Beschreibungen der Interessengruppen formuliert, eine Spielleitung bestimmt, die Informationswege festgelegt (Briefe, Telefon, Lokalzeitung, Aushang der Gemeinde und/oder von beteiligten Gruppierungen, Plakate usw.) und Räumlichkeiten reserviert. Unser Beispiel benötigt entweder einen großen Saal oder mehrere Räume (einen für jede Interessengruppe). Das Spiel dürfte etwa vier bis sechs Stunden dauern. Daran schließt sich die Auswertung an.

Beispiel des Spielablaufs

Das Spiel findet am Samstag in der Werkhalle der örtlichen Möbelfabrik statt. Für jede Interessengruppe ist eine Ecke ausgewählt und mit Tisch und Bänken versehen worden. Rund 40 Mitspieler/innen haben sich eingefunden. Je drei bis sechs bilden eine der vorgesehenen Interessengruppen (per Los bestimmt). Sie haben eine halbe Stunde Zeit, »sich zu finden» und ihr Vorgehen zu besprechen. Die Gruppen werden gebeten, eine Art Protokollbuch über ihre Diskussionen und Aktionen zu führen (jeweils mit genauer Zeitangabe). Die Spielleitung ist zugleich die Redaktion der Lokalzeitung. Sie kann so durch gezielte Informationen den Gang des Spiels beeinflussen. Alle »Telefonanrufe» und »Briefe» gehen ebenfalls über die Spielleitung. Zu diesem Zweck hat jede Gruppe entsprechende Formulare erhalten. Die Spielleitung kann so den Ablauf des Spiels verfolgen und dokumentieren.

Für die Spielleitung können Außenstehende gewonnen werden. Das ist allerdings nicht Bedingung. Jedenfalls sollte sie aus mindestens drei Personen bestehen und über einen Kopierapparat verfügen. Die Spielleitung hat im Wesentlichen drei Aufgaben:

  • Sie verfolgt den Verlauf des Spiels und dokumentiert ihn.
  • Sie achtet darauf, dass die Mitspielenden die Spielregeln einhalten.
  • Sie beeinflusst das Spiel über gezielte Informationen, wenn es ihr notwendig erscheint.

Diese dritte Aufgabe gibt der Spielleitung die Möglichkeit, in irgendwelche Rollen zu schlüpfen (Beispiel: Die Kreisverwaltung schreibt dem Gemeinderat, ein Vermächtnis eines ausgewanderten Ortsbewohners an die Gemeinde wird bekannt, die Lokalzeitung recherchiert über den Konkurs eines Skiliftbetreibers im Nachbarort). Keinesfalls aber beteiligt sich die Spielleitung selbst am Spiel.

Beispiel der Spielauswertung

Nach gut vier Stunden bricht die Spielleitung das Spiel ab. Die Oppositionsgruppen haben sich derart zerstritten, dass sie mehr mit sich selber als mit dem Skiliftprojekt zu tun haben. Es gibt nun eine Pause. Danach treffen sich alle Spielerinnen und Spieler zur Auswertung. Die Spielleitung zeigt nochmals den Ablauf des Spiels. Danach wird darüber diskutiert. Und schließlich werden »die Lehren daraus gezogen«: In unserem Fall: Wie kam es zum Zerwürfnis? Was kann getan werden, damit es nicht so weit kommt?

Die Spielauswertung ist der wichtigste Teil des Spiels. Sie hat drei Teile:

  • Wie haben wir uns während des Spiels gefühlt? Was ist eigentlich passiert? Konnten wir so Einfluss nehmen, wie wir es gerne gehabt hätten? Wie haben wir die anderen Interessengruppen empfunden? usw. Dieser Teil sollte zeitlich nahe am Spielgeschehen sein und in den Spielgruppen stattfinden.
  • Was ist eigentlich während des Spiels geschehen? Die Spielleitung erläutert den Ablauf des Spiels, die verschiedenen Interventionen und die ihrer Meinung nach wichtigen Ereignisse. Für viele Mitspielende werden bestimmte Abläufe erst jetzt verständlich.
  • Was müssen wir in der Realität beachten, wenn wir unser Ziel erreichen wollen? Dies kann im Plenum oder auch zuerst in Kleingruppen diskutiert werden. Dieser dritte Teil kann auch tags darauf besprochen werden.

Zum Schluss noch ein heißer Tipp. Machen Sie im Zweifelsfall ein Planspiel. Es ist in jedem Fall unterhaltsam und es vermittelt immer kräftige Gefühle, von Frust über Ärger und Wut bis zu Freude und Ausgelassenheit. Es ist deshalb sinnvoll, im Anschluss an ein Planspiel ein kleines Fest zu veranstalten, damit diese Gefühle in ein großes Ganzes einfließen können.

Seite 2: Das Handlungsspiel

Das Handlungsspiel

Klage nicht, handle!
(Hölderlin, Hyperion)

Oft sind es unbewusste Ängste, die eine gute Idee oder Aktion bereits im Entwicklungsstadium sterben lassen. Niemand traut sich, den Gang zur Behörde, zum »Gegner« oder gar in die »Höhle des Löwen« anzutreten, und so wird versucht, die Aktion ohne all die schwierigen Gespräche durchzuführen. Das gelingt dann eben nicht; und es folgen die Klagen von der Uneinsichtigkeit … Da bietet das Handlungsspiel beste Abhilfe.

Das Handlungsspiel ist eine Spielform zwischen Rollenspiel und Planspiel. Gezielt angewendet wurde es ursprünglich in der Gewerkschaftsbewegung. Die Arbeitnehmer hatten erkannt, dass ihre Vertreter bei Verhandlungen mit Arbeitgebern trotz guter Argumente oftmals »über den Tisch gezogen wurden«. Bei der Analyse zeigte sich, dass die Arbeitnehmervertreter oftmals nicht rechtzeitig intervenierten und dass sie die Winkelzüge der Gegenseite nicht erkannten, weil sie zu stark auf ihre Argumente fixiert waren. So wurden also diese Verhandlungen jeweils vorher »geübt«: Die Arbeitnehmerdelegierten saßen auf der einen Seite des Tisches und spielten sich selbst, während die lebhafteren Kollegen auf der anderen Seite die Arbeitgeberdelegation darstellten. Und einige Kollegen beobachteten das Ganze. Nach dem Spiel wurden die Stärken und Schwächen der eigenen Leute im Gespräch diskutiert. Nach und nach konnte so eine annähernd gleiche Verhandlungskompetenz erreicht werden.

Das Spiel lässt sich als vorbereitende Übung immer dort einsetzen, wo verhandelt werden muss. Wenn also Vertreter/innen einer Bürger-Initiative mit einer Delegation des Stadtrates zusammenkommen, dann kann diese Situation vorher mit einfachen Mitteln geübt werden. Besonders bei großer Unsicherheit, bei Angst vor Verletzungen und bei schwierigen Gesprächssituationen bietet das Handlungsspiel die bestmögliche Vorbereitung, weil der Übungsschwerpunkt nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der Verhaltensebene liegt. Zudem eignet es sich auch für die inhaltliche Vorbereitung, indem die »spontanen« Gegenargumente der gespielten Seite aufgenommen werden können.

Der Ablauf eines Handlungsspiels lässt sich in vier Bereiche unterteilen:
Diejenige Person(en), welche die Verhandlung/das schwierige Gespräch führen soll(en), bereiten sich so vor, wie sie es auch in der Realität tun würde(n).
Die Mitspieler/innen und Beobachter/innen werden von diesen Personen instruiert (Ausgangslage und Situation, Verhandlungsgegenstand, Personen der »Gegenseite« usw.). Die Rollen werden verteilt, an die Mitspielenden entsprechend der Personen der »Gegenseite«, an die Beobachtenden bezüglich des Verlaufs und bezüglich des Inhalts, evtl. – sofern sinnvoll – bezüglich des Verhaltens (Körpersprache u.a.).
Das »Gespräch«, die »Verhandlung« wird gespielt. Nur die Beobachtenden haben das »Recht«, das Spiel abzubrechen. Sie sollten das immer dann tun, wenn sie genügend beobachtet haben.
Das Spiel wird ausgewertet und danach evtl. nochmals (und nochmals) gespielt.

Beispiel einer Spielanleitung

Die Nummerierung entspricht den vier oben beschriebenen Bereichen:

  • Sie haben sich auf ein schwieriges Gespräch vorbereitet. Nehmen Sie nun Ihre Notizen und setzen Sie sich mit Ihren Partnern/innen zusammen, mit denen Sie das Gespräch führen müssen, und überlegen Sie miteinander die gemeinsame Strategie, Argumentation und Aufgabenverteilung.
  • Um nun das Gespräch zu üben, wählen Sie aus den Mitspielenden die erwarteten Personen der »Gegenseite« aus. Mit Ihnen zusammen bereiten Sie nun das Handlungsspiel vor, indem Sie ihnen die Situation Ihres Gesprächs erläutern. Die Mitspielenden übernehmen nun die Rollen der »Gegenseite« in Ihrem Gespräch. Deren Charakter und Spielweise können Sie bestimmen. Die übrigen Mitspielenden übernehmen die Beobachterrolle. Sie selber spielen sich in diesem Gespräch.
  • Sie spielen nun das Gespräch. Vergessen Sie nicht, dass nur die Beobachtenden das (Gesprächs-) Spiel abbrechen dürfen. Beim ersten Mal sollte das Spiel nicht zu lange dauern (etwa 5 bis 10 Minuten). Nach dem Abbruch schreiben alle Beteiligten (also Sie selbst, die Mitspielenden und die Beobachtenden) innerhalb weniger Minuten auf, was sie während des Gesprächs beobachtet, gemerkt, gefühlt haben.
  • Danach wird über das Gespräch diskutiert. Meistens ist es sinnvoll, das (Gesprächs-) Spiel danach zu wiederholen. Nach Abschluss der Spielphase wird nun das Gespräch »richtig« vorbereitet, also die bisherigen Vorbereitungen werden inhaltlich und argumentativ nochmals überprüft.

Zum Schluss noch ein Hinweis für die Beobachtenden: Sie sollen nicht nur aufs Reden und Hören sowie den Gesprächsverlauf achten. Auch die Sitzordnung, die Körperhaltung, die Mimik usw. der Gesprächsteilnehmenden ist wichtig. Und: Bemühen Sie sich, Ihre Beobachtungen möglichst genau und wertfrei zu formulieren.

Autor

Hansruedi Humm
Ludwig-Richter-Haus
Friedrichstr. 44
D-01067 Dresden
E-Mail: h.humme@t-online.de