Die Bürgerausstellung ist ein Bürgerbeteiligungsverfahren für die Stadtplanung, das Innensichten von Bürgern in Form von Interviewausschnitten zusammen mit Fotografien der Bürger und des Stadtviertels ausstellt. Ziel der Bürgerausstellung ist es, Einstellungen, Ziele und Motivationen von Interessengruppen (Stakeholdern) – etwa den Bewohnern eines Stadtviertels, der Stadtverwaltung, privatwirtschaftlicher Investoren – offen zu legen und einen öffentlichen Dialog darüber zu ermöglichen. Die Ausstellung ist ein Beitrag zum Verständnis der Innensicht der Beteiligten. Darüber hinaus können Pläne und Aktivitäten transparent gemacht werden. Konflikte innerhalb oder zwischen Interessengruppen können identifiziert und analysiert werden. Die Ergebnisse werden den Beteiligten und der interessierten Öffentlichkeit in einer Ausstellung, die sowohl Fotografien als auch relevante Textauszüge aus Interviews umfasst, nahe gebracht. Die gemeinsame Ausstellung kann zu einer stärkeren Identifikation der Beteiligten mit ihrer Gruppe und mit ihrer Nachbarschaft beitragen, mit dem Ziel, ihr politisches Engagement und gleichzeitig das Verständnis für die Perspektiven anderer Interessengruppen zu erhöhen.
Die größte Stärke des Konzeptes ist die ästhetische und emotionale Kraft von Bildern und zugehörigen Zitaten. In unvermittelter Weise können hier Bürgerperspektiven betrachtet werden, wobei Aussagen konkret mit Personen und Orten verbunden sind. Im Folgenden wird das Verfahren in seinen einzelnen Schritten beschrieben.
Auswahl des Themas
Zunächst muss das Thema der Bürgerausstellung bestimmt werden. Es orientiert sich an der konkreten Problemlage und am Veränderungsbedarf in einem Wohnviertel, etwa bezüglich der Gestaltung und Nutzung öffentlichen Raums. Die Konkretisierung des Ausstellungsthemas sollte in Absprache zwischen allen beteiligten Gruppen geschehen.
Interviews
Im zweiten Schritt werden qualitative Interviews mit Beteiligten geführt und ausgewertet. Die Fragen in den Interviews sollten möglichst offen gestellt sein, um dem Interviewpartner viel Raum für die Darstellung seiner subjektiven Sicht zu lassen.
Zunächst müssen die relevanten Stakeholder für den Beteiligungsprozess identifiziert werden. Dabei ist grundsätzlich zu klären, ob eine Bürgergruppe nur sich selbst und ihr Anliegen ausstellen möchte oder ob Kooperationen und Konflikte zwischen unterschiedlichen Stakeholdern im Vordergrund stehen, die auch alle interviewt werden sollten (z.B. Bürger, Verwaltung, Wirtschaft).
Es empfiehlt sich, Interviewpartner möglichst unterschiedlichen Profils auszuwählen (Prinzip des Kontrasts in der Gemeinsamkeit), um die maximale Bandbreite an Problemsichten zu erlangen. Auch zahlenmäßig unterrepräsentierte Perspektiven finden so Eingang in die Diskussion.
Fotografieren der Interviewpartner und ihres Lebensumfelds
Zeitgleich werden die Interviewpartner fotografiert. Je nach Thema des Beteiligungsprozesses werden auch andere inhaltlich relevante Fotos, etwa aus dem Umfeld der Beteiligten, gemacht. Wenn es z.B. um Veränderungen eines bestimmten Stadtviertels geht, bietet es sich an, Fotos der Orte zu machen, die unbedingt umgenutzt werden sollen und ebenso Fotos der schönen Orte zu machen, die als Vor-»Bilder« dienen können.
Die Beteiligten können auch selbst fotografieren und so ihrer Sichtweise – durch ihre eigene »Linse« – auf den Gegenstand Ausdruck verleihen.
Ausstellungsvorbereitung
Im nächsten Schritt werden Bilder und Interviewausschnitte für eine öffentliche Ausstellung vorbereitet. Die Ausstellung kann ganz sparsam durchgeführt werden, sollte allerdings immer folgende Bedingungen berücksichtigen: a) sie sollte »vor Ort« stattfinden, und b) die Exponate sollten Bilder und Texte kombinieren, wodurch die Darstellung der Innensichten an Komplexität gewinnt. Die Texte sind charakteristische Auszüge aus den Interviews. Die Auswahl der Textauszüge muss mit den Interviewpartnern rückgekoppelt werden.
Ausstellungseröffnung
Eine entscheidende Rolle spielt die Ausstellungseröffnung. Hier werden alle beteiligten Interessengruppen und die interessierte Öffentlichkeit eingeladen. Die Motivation der Beteiligten, zu dieser Eröffnung zu kommen, ist sehr hoch, da sie sich selbst in der Ausstellung wiederfinden.
Neben der Öffentlichkeitswirkung ist das wertvollste Potenzial der Ausstellungseröffnung die Möglichkeit, den Dialog innerhalb und/oder zwischen den Interessengruppen anzustoßen. Dies kann informell bei der Betrachtung der Ausstellung passieren oder in strukturierter Form, indem weitere Beteiligungsverfahren in die Ausstellung integriert werden.
Die Methode ist im Kontext der Stadtplanung entwickelt worden. Sie eignet sich insbesondere für dieses Anwendungsfeld, weil neben den Personen und ihren Einstellungen auch Räume und Stadtflächen fotografisch in der Ausstellung gezeigt werden können.
Die Methode ist aber durchaus flexibel und kann prinzipiell in jedem Prozess angewandt werden, an dem Bürger beteiligt sind. So ist die Methode etwa in der Planung von Zwischennutzungen städtischer Brachflächen eingesetzt worden. Ebenso ist die Ausstellung aber auch bereits in Kombination mit Planungszellen durchgeführt worden, um die Ergebnisse der Planungszellen einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.
Die Bürgerausstellung zielt auf insbesondere drei Wirkungen ab, die den Dialog zwischen Interessengruppen und die Teilhabe der Bürger an politischen Entscheidungen verbessern sollen: a) die Erweiterung des sprachlich-rationalen Ansatzes um visuelle Reize, b) die Übernahme neuer Rollen durch die beteiligten Akteure, c) die Ausstellung als Bühne und Katalysator.
Die Koppelung sprachlicher und visueller Reize
Eine der wichtigsten Aufgaben der Beteiligungsverfahren ist die Ermöglichung von Dialogen. Die Bürgerausstellung schafft einen Raum, in dem Menschen aufeinander treffen und in einen Dialog treten können. Während der dialogische Ansatz jedoch meist auf die Sprache beschränkt ist, erweitert die Bürgerausstellung ihn um einen weiteren Informationskanal: Sie ergänzt die sprachlichen Erzählungen mit Bildern. Die Koppelung sprachlicher und bildlicher Repräsentationen erhöht die Komplexität der Perspektivendarstellung und vereinfacht das gegenseitige Verstehen.