Demokratiewerkstatt

Seite 1: Ausgangslage, Anspruchsgruppen und Ziele, Definition

Keimzelle der Jungen Bürgergesellschaft

Das Konzept der Demokratiewerkstatt (DW) ist ein von Jugendlichen getragenes und ausgestaltetes Bildungsarrangement. Die Jugendlichen schlüpfen dabei – initiiert und betreut durch einen Träger außerschulischer politischer Bildung – in die Rolle politischer Bildner, gestalten Bildungsangebote für ihr eigenes Umfeld, setzen sich so mit Politik auseinander und engagieren sich für die Demokratie. Die Bildungsaktivitäten bestehen aus einem ganzen Set von Aktionen, die die Jugendlichen selbst bestimmen und organisieren. Es handelt sich also um einen reinen Bildungsprozess, nicht um eine Interessenvertretung.

Ausgangslage, Anspruchsgruppen und Ziele der Demokratiewerkstatt

Den Rahmen zur Gestaltung einer DW können z.B. Schulen bieten. Die Erfahrungen des BK und das Studium der Literatur zeigen, dass diese aufgeschlossen und sogar auf der Suche nach Methoden, Hilfestellungen und Kontakten von »außen« sind, um ihren pädagogischen Auftrag zu unterstützen. Besonders in der oft von Jugendlichen als trocken empfundenen und wenig aktivierenden politischen und ökonomischen Bildung sind attraktive Formen zur Ergänzung des Unterrichts nachgefragt und notwendig. Schulleitungen sind daran interessiert, interessante Gesprächspartner und Methoden in ihre Schule zu bekommen, um so auch die Profilbildung und Öffentlichkeitsarbeit zu gestalten. Schulöffnung, Schulprogrammentwicklung, Ausbau der Nachmittagsbetreuung sowie die Förderung lebenslangen und selbstgesteuerten Lernens machen all diese Beobachtungen noch evidenter.

Neben diesem ersten Metaziel soll das Konzept der DW Ernst machen mit den sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen und der »schwierigen Rolle der Jugend im Parteienstaat«, die sich vom traditionellen Engagement nicht mehr angezogen, von den politischen Institutionen und deren Ritualen gar abgestoßen fühlt. Deshalb sind die Jugendlichen die wichtigste Anspruchsgruppe des DW-Konzepts. Die Methodik berücksichtigt dabei, was Jugendliche wollen: Projektorientierung, Selbstorganisation, Spaß, Ungezwungenheit und die Möglichkeit, Ergebnisse des eigenen Handelns zu erfahren. Das besondere pädagogische Konzept liegt darin, die Erwartungen der Jugendlichen stärker zu berücksichtigen, sie ernst zu nehmen, ihnen aber auch die Notwendigkeit, den Umgang und den Nutzen von Institutionen und langfristigem Engagement aufzuzeigen. Hier kommt dem politischen Bildner eine Vermittlerrolle zwischen zwei Welten zu, den Jugendlichen auf der einen und der institutionell verfassten Demokratie auf der anderen Seite.

Neben der Schule und den Jugendlichen stellen die dritte Anspruchsgruppe all diejenigen, die auf das Engagement der Jugendlichen und den Dialog mit ihnen angewiesen sind: Politik und Bürgergesellschaft. Sie miteinander ins Gespräch zu bringen und Brücken zu bauen, ist das dritte Ziel des DW-Konzepts. Insgesamt entsteht so ein Netzwerk für Demokratie und Bürgergesellschaft, das als Ansprechpartner für politische Bildungsarbeit und als vorpolitischer Raum dient. Es entsteht politisches Engagement und es vollzieht sich eine Anbindung der Bürger an die Demokratie. Die Langzeitevaluation der bestehenden DWen des BK zeigt, dass sich neben der klassischen Engagementelite überwiegend solche Jugendliche zur Gestaltung einer DW finden, die sich eigentlich nicht vorstellen konnten, sich jemals politisch zu engagieren. Nachdem einer DW entwachsen, engagiert sich aber ein signifikanter Teil dieser Jugendlichen in Parteien, anderen politischen Organisationen oder im Bereich der politischen Bildung weiter.

Was genau ist eine Demokratiewerkstatt?

In einer selbstorganisierten, aber vom politischen Bildner durch einen Stimulus wie einem Rollenspiel, einem Lernortseminar oder einem Schülergespräch mit Politikern initiierten und begleiteten Schul-AG finden sich interessierte Jugendliche zusammen, um außerhalb des Unterrichts, in ihrer Freizeit oder eingebunden in die Nachmittagsbetreuung, attraktive Angebote politischer Bildung für ihre Schule zu organisieren, die dann i.d.R. wieder in den Unterricht integriert werden. Diese Bildungsangebote stehen nicht in Konkurrenz zum Unterricht. Im Gegenteil, sie ergänzen ihn und greifen dabei auf außerschulische Kooperationspartner und Bildungsformate zurück. Die Jugendlichen, die eine Demokratiewerkstatt gestalten, organisieren dann erneut o.g. Aktionen oder gestalten oder besorgen Ausstellungen, bieten Studienfahrten und Lernortseminare an, organisieren Projekttage und Schulmessen oder laden Fachreferenten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in den Unterricht ein. Es bleibt aber nicht nur bei der reinen Umsetzung von Bildungsaktivitäten und der Rezeption von Vorschlägen des betreuenden Lehrers oder Bildungsträgers. Die Schüler entwickeln eigene didaktische Mittel und Projekte, wie Unterrichts­informationen zu Wahlen oder anderen Ereignissen/Themen sowie Internetpräsentationen oder konzipieren eigene Planspiele.

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Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen der auf Langfristigkeit angelegten und generalisierten DW, die sich politischer Schulbildung ganz allgemein und »institutionalisiert« widmet, und der zeitlich begrenzten Projektarbeit, die sich beispielsweise an ein intensives Lernortseminar anschließt und bei der die (i.d.R. wenigen) Teilnehmer versuchen, an die dort gewonnenen Erfahrungen anzuknüpfen und sie zudem an ihre Mitschüler weiterzugeben, beispielsweise durch Unterrichtsbesuche oder die Organisation themenzentrierter Veranstaltungen.

Das Konzept der DW wurde in einem wissenschaftlichen Modellprojekt (»Nidderau-Projekt«) vom BK in Kooperation mit den Universitäten Gießen und Frankfurt entwickelt, in mehreren Fachveröffentlichungen vorgestellt und diskutiert und wird in der Praxis bereits seit 1997 an mehreren Schulen in Hessen in ehrenamtlicher Arbeit erfolgreich durchgeführt. Die Civic Education Study bestätigt die Methode des DW-Konzepts. So folgern die Autoren, dass »Schulen, die sich um eine Umsetzung demokratischer Prinzipien, z.B. durch Schaffung von Freiräumen für offene Diskussionen bemühen, das politische Verstehen und Engagement ihrer Schüler besonders fördern können«.

DWen sind in modifizierter Form auch vorstellbar für andere Institutionen, wie Universität und Bundeswehr. An einem Standort im Wehrbereichskommando II wird es ein erstes Modellprojekt geben, von dem aus weitere DWen bei den Streitkräften ausgehen sollen. Das Konzept ist grundsätzlich nicht auf Jugendliche beschränkt, denn auch bei Erwachsenen sind ähnliche Einstellungen und Erwartungen, das politische und gesellschaftliche Engagement betreffend, bekannt. Daher ist es auch vorstellbar, dass eine DW, angebunden an oder zumindest initiiert durch einen Bildungsträger wie der VHS, außerhalb der hier angesprochenen Institutionen läuft und Bildungsarbeit für eine abgegrenzte Region (wie eine Stadt oder einen Kreis) betreibt.

Das Ziel des DW-Konzepts ist es, neben der Belebung der politischen Bildung und des Engagements für die Demokratie, die Vision von der Jungen Bürgergesellschaft mit Leben zu erfüllen. Das Konzept der DW setzt dazu unmittelbar bei den Jugendlichen an und vernetzt außerschulische und schulische politische Bildung; es macht sie zum gleichberechtigten Bildungspartner. Der methodisch-didaktische Ansatz wird wesentlich durch das daraus abzuleitende Prinzip der Selbstorganisation und einen möglichst großen (aber betreuten) Freiraum erreicht. Schüler werden dadurch in die Lage versetzt, Engagement zu erproben und politische Bildung erlebnisorientiert (durch Aktionen) sowie kognitiv (durch eigene Konzeptions- und schließlich Vermittlungsleistung) selbst zu erfahren und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Durch die Rolle des Jugendlichen als politischem Bildner entstehen positive Einstellungseffekte bei den Adressaten (Stichworte: »Glaubwürdigkeitsvorsprung«, »Vorbildcharakter«, »Sprechen der gleichen Sprache in der Vielfalt der Jugendkulturen«). Darüber hinaus wird durch die Kombination aus »Betreuung« und Selbstorganisation (DW-Jugendliche als »Helfer« der politischen Bildung) eine fundierte bzw. intensivere und zugleich effizientere politische Bildung möglich. Es werden mehr Jugendliche erreicht.  Bei den Aktiven der DW stellt sich durch die andere und intensivere Auseinandersetzung mit dem Stoff positiver Lernnutzen ein. Dies nennen wir den »Impuls-/Nachbetreuungs-/Streu­ungseffekt«.

Eine DW entsteht durch einen Impuls, eine Auftaktveranstaltung, die nach Beendigung inhaltlich nachbetreut wird. Unter anderem wird gefragt, wer Lust dazu hat, selbst Veranstaltungen zu organisieren. So finden sich i.d.R. etwa 15-20 Jugendliche, mit denen dann die DW-Arbeit beginnt. Wo andere Bildungsangebote aufhören (mit dem punktuellen Impuls), beginnt das DW-Konzept und erzeugt Engagement – hier liegt zugleich sein partizipatives Element. Die Jugendlichen übernehmen die Aufgabe des politischen Bildners. Diese nachhaltige Arbeitsweise und die ausgeprägte Selbständigkeit der Jugendlichen in die »Köpfe« aller Beteiligten zu bekommen und sich selbstkritisch als Teamer einer DW daran zu messen, ist das entscheidende Erfolgskriterium des Konzepts. Dabei kommt es auf verschiedene Faktoren wie das Engagement und die Überparteilichkeit des betreuenden Teamers/Lehrers, das Interesse und die Einsatzbereitschaft der Jugendlichen, die Unterstützung der Schulleitung und des Kollegiums, die Betreuung durch den außerschulischen Bildner, das Alter der Schüler und die Schulform an. Generell ist das Konzept auf alle Schulformen und Stufen/Klassen  übertragbar. Wichtig ist, dass die Schüler im Mittelpunkt des Geschehens stehen, sie kreativ gefordert und begleitet werden.

Autor

Dr. Karsten Rudolf
Alexander Wicker
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