Eine repräsentative Methode der Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung
Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung, wie sie momentan in Deutschland praktiziert wird, ist gekennzeichnet durch ein heterogenes Spektrum an Beteiligungsformen, die sich ausdrücklich an individuelle Bürgerinnen und Bürger richten. Hierzu gehören Bürgerversammlungen, Planungszellen, Foren, Nachbarschaftsprojekte, etc. Erfahrungen in der Praxis verdeutlichen, dass diese Ansätze die Bürgerschaft nur punktuell aktivieren und in der Regel nur kleine Teile der Bevölkerung, größtenteils nur die sowieso schon gut organisierten Bürgerinnen und Bürger bzw. die Vertreter von Organisationen, mobilisieren und kein repräsentatives Meinungsbild wiedergeben. Auch bauen die vorhandenen Beteiligungsformen vielfach hohe Beteiligungsschwellen und -hemmnisse auf, die oft nur diejenigen nehmen können, die ein besonderes Interesse an einem Thema haben oder eine extreme Meinung vertreten. Das große Beteiligungspotenzial, das in der Bevölkerung vorhanden ist, kann auf diese Weise nicht ausgeschöpft werden.
Bürgerpanels sollen diese Mängel reduzieren. Sie treten jedoch nicht mit den traditionellen Beteiligungsformen in Konkurrenz. Vielmehr werden sie mit der Absicht ins Leben gerufen, auch diese Beteiligungsformen zu fördern, indem sie bisher passive Bürgerinnen und Bürger, die durch die Mitwirkung an Panels aktiviert werden, zur Teilnahme an traditionellen Beteiligungsformen motivieren.
Bürgerpanels stellen einen übergreifenden, allgemein zugänglichen und breitere Bevölkerungsteile einbeziehenden Ansatz zur Bürgerbeteiligung dar. Gleichzeitig verbessern Bürgerpanels die Informationsversorgung der gewählten demokratischen Interessenvertretungen sowie der Verwaltungsführung und eröffnen neue Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Politik und Bürgern.
Bürgerpanels, so wie sie im Folgenden beschrieben sind, werden bislang in Deutschland noch nicht angewandt. In einer Reihe von Ländern (etwa in Großbritannien und den Niederlanden) sind Bürgerpanels jedoch schon etabliert und können auf ein hohes Aktivierungspotenzial verweisen. Es gilt zukünftig, in einem deutschen Modellprojekt die nötigen Bedingungen für die Implementierung in Deutschland, die Hemmnisse und Chancen bei Einführung des Bürgerpanels zu untersuchen.
Ein Bürgerpanel besteht in seinem Kern aus einer regelmäßig (3-4 mal jährlich) stattfindenden, repräsentativen Befragung von Bürgerinnen und Bürgern. In einem ersten Schritt wird eine repräsentative Gruppe von 500 bis 1000 Bürgerinnen und Bürgern, die sich einverstanden erklärt haben, über einen Zeitraum von 3 bis 4 Jahren regelmäßig an 3 bis 4 jährlichen Befragungen zu kommunalen Themen teilzunehmen, für den sog. Befragtenpool rekrutiert und befragt.
Wie die vorliegenden Erfahrungen zeigen, können auf den Befragungsansatz nach einer bestimmten Zahl von Befragungen in einem zweiten Schritt intensivere Methoden der Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung aufgesetzt werden. Aus dem Befragtenpool ausgewählte Personen können dann in Gruppendiskussionen, Bürgerforen, Fokusgruppen, Interviews und Zukunftswerkstätten bestimmte komplexe Themen genauer erörtern. Diese qualitativen Methoden erfüllen zwar nicht die Bedingungen statistischer Repräsentativität, aber sie ermöglichen, Probleme profilschärfer und detaillierter zu erfassen, und ggf. auch für nachfolgende Befragungen aufzubereiten. Außerdem kommen sie dem bisher oft noch latenten Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger entgegen, sich persönlich zu engagieren.
Die Durchführung eines Bürgerpanels kann in folgende drei Phasen – Information, Befragungen und Kommunikation – gegliedert werden. Die drei Phasen werden im Folgenden ausführlich behandelt.
Phase I – Information
Der Start eines Bürgerpanels setzt voraus, dass lokale Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung über Ziele und Methode eines Bürgerpanels informiert und für die Idee gewonnen werden. Die Festlegung der Umfragethemen erfolgt durch die Kommune und/oder kann von der Bürgerschaft vorgeschlagen werden. In intensiven Beteiligungsformen können relevante Themen aufgespürt werden, zu denen dann das Bürgerpanel eine Umfrage durchführt und so das Thema repräsentativ erörtert. Die Themen, die ein Bürgerpanel erfragt, können vielfältig sein. Gemeinsam ist ihnen jedoch der lokale Charakter. Nach der Themenklärung gilt es, das Bürgerpanel in der Kommune bekannt zu machen (z.B. lokale Tageszeitung), die Bürgerinnen und Bürger anzusprechen und für die Teilnahme zu gewinnen (z.B. Brief des Bürgermeisters) und Öffentlichkeitsarbeit über das kommunale Internetportal und lokale Medien zu betreiben.
Phase II – Befragungen
Hat die Themenauswahl stattgefunden, gilt es, im nächsten Schritt den Fragebogen zu entwickeln und elektronisch umsetzen. Im Gegensatz zum britischen Modell soll in Deutschland die Datenerhebung soweit wie möglich über das Internet erfolgen. Parallel zur Online-Umfrage ist jedoch vorgesehen, den Bürgerinnen und Bürgern wahlweise die Teilnahme an einer schriftlichen oder telefonischen Befragung zu ermöglichen. Diese methodische Offenheit des Panels ermöglicht es, auch diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die noch nicht über einen Internetzugang verfügen (sog. »Offliner«), einzubeziehen.
Zur weitestmöglichen Sicherstellung der Repräsentativität der Befragungen bei gleichzeitiger Sicherstellung ihrer Offenheit dient ein mehrstufiges Vorgehen:
- Zunächst erfolgt eine offene Befragung, ein Angebot für alle interessierten Bürgerinnen und Bürger. Über geeignete Informationskanäle (Homepage der Kommune, örtliche/regionale Medien, Postwurfsendungen an die Haushalte) wird über die Befragung (Ziele, Inhalt, Beginn und Ende) informiert. Die Bürgerinnen und Bürger können den Fragebogen unmittelbar über das Internet ausfüllen oder optional einen (gedruckten) Fragebogen bei der Stadtverwaltung anfordern. Letzteres erfordert eine Abstimmung bezüglich der Durchführung der Dateneingabe.
- Da bei einer zunächst offenen und freiwilligen Befragung kein von vornherein repräsentatives Ergebnis zu erwarten ist, muss zeitnah nach Beginn der Befragung ermittelt werden, wo, d.h. bei welchen Gruppen, »verzerrende« Ausfälle auftreten werden, z.B. erfahrungsgemäß bei der Gruppe junger Männer mit niedrigem Bildungsabschluss. Es ist hierbei unabdingbar für die Ermittlung der Repräsentativität, die soziodemographischen Merkmale (z.B. Alter, Geschlecht, Schul-, Berufs- oder Universitätsabschluss und Wohnort) der Antwortenden mit denen der Bevölkerung vor Ort abzugleichen. Um so ermittelte unterrepräsentierte Personengruppen in ausreichendem Maße zu befragen, bieten sich mehrere, auch gleichzeitig anwendbare Vorgehensweisen an:
a) Einbindung der Fachämter mit Publikumsverkehr und anderer Einrichtungen (etwa Büchereien, Volkshochschulen, Bürgerbüros ): Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten »Steckbriefe« mit den Merkmalen noch zu befragende Personengruppen. Treffen diese Merkmale auf eine Kundin oder einen Kunden zu, dann werden diese gebeten, einen Fragebogen (möglichst an »Ort und Stelle«) auszufüllen – schriftlich oder an einem bereitstehenden PC-Terminal.
b) Einbindung von engagierten Bürgergruppen: Wie im Falle der Bürgerbüros, so können auch – zielgruppenspezifisch – engagierte Bürgergruppen eingebunden werden, z.B. Seniorengruppen und Internetinitiativen.
c) Schriftliche Aufforderung: Es werden aus den Einwohnermeldedaten Personen mit den notwendigen Merkmalen ausgewählt und angeschrieben, mit der Bitte, einen Fragebogen schriftlich oder im Internet auszufüllen.
Mit dieser Vorgehensweise kann gleichzeitig die Repräsentativität der Befragung kontrolliert und sichergestellt werden und die Befragung steht somit allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern offen.
Das Internet bietet neben der schnellen Auswertung der Ergebnisse eine interaktive Komponente, welche die Kommunikation mit dem Bürger erleichtert und Rückkoppelung ermöglicht: Bearbeitung des Fragebogens, ergänzende Informationen zu den erhobenen Themen, Diskussionsforen und Chats unter den Panelmitgliedern, Expertenchats zu bestimmten Themen.
Nach der Startphase, sobald ein ansprechbarer Mitgliederkern entstanden ist, kann unabhängig von den Befragungen jederzeit auf intensive Beteiligungsformen zurückgegriffen werden.