Konsensuskonferenz
Zwischen Planungszelle und Mediation...
Die Methode der Konsensuskonferenz wurde maßgeblich von der dänischen Behörde für Technikfolgenabschätzung (Teknologi-Rådet) entwickelt und wird von ihr seit ca. fünfzehn Jahren erfolgreich angewandt. Die erste »echte« Konsensuskonferenz in Deutschland nach diesem Modell war die »Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik« im November 2001, die vom Deutschen Hygiene Museum Dresden organisiert wurde.
Die Methode weist erstaunliche Analogien zum von Peter C. Dienel entwickelten Verfahren Planungszelle/Bürgergutachten auf. Unverkennbar sind aber auch Einflüsse amerikanischer Mediations- und Verhandlungsmethoden.
Amerikanische Expertenkonferenzen als Vorbild
Aus den USA stammt daher auch der Name »Konsensus-Konferenz«. Die Kostenexplosion im amerikanischen Gesundheitswesen, vor allem aber auch die Diskrepanz zwischen medizinischer Forschung und ihrer Anwendung einerseits und den tatsächlichen Bedarfen in der klinischen Praxis andererseits, führte Mitte der siebziger Jahre zu der Überlegung, Wissenschaft und Praxis besser miteinander ins Gespräch zu bringen. Damit war die Idee der Konsensuskonferenz geboren.
Inzwischen haben in den USA über 100 solcher Konferenzen stattgefunden, an denen Forscher/innen und medizinische Praktiker/innen teilnehmen, um neue medizinische Technologien und ihre Entwicklungspotenziale zu bewerten. Die Konferenzen dauern gewöhnlich 2,5 Tage und bestehen aus einer egalitär aus Wissenschaft und Praxis zusammengesetzten Experten-Jury von neun bis 18 Personen, die sich auf Grund unterschiedlicher, gutachterlicher Stellungnahmen ein Urteil bilden und versuchen, einen möglichst alle Interessen berücksichtigenden Konsens zu erarbeiten. Nach einer Übersicht aus dem Jahre 1995 waren vergleichbare Verfahren im Bereich der medizinischen Forschung schon damals aus mindestens 13 verschiedenen Ländern bekannt.
Auswahl von Laien

Das Besondere an den von der dänischen Behörde für Technikfolgenabschätzung durchgeführten Konsensuskonferenzen ist nicht, dass sie diese auf andere thematische Bereiche ausgedehnt haben, sondern sie statt mit Fachleuten mit unabhängigen Laien durchführen. Anders als bei den Planungszellen wurden die Laien anfangs aber nicht per direktem Zufallsverfahren aus der Einwohnermeldedatei ausgewählt, sondern zunächst über im ganzen Land veröffentlichte Zeitungsanzeigen geworben. (Inzwischen benutzt man aber auch das Einwohnerregister und schreibt eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern persönlich an.)
Aus den sehr viel zahlreicheren Rückmeldungen Interessierter werden dann von einer für die Durchführung verantwortlichen Koordinierungsgruppe ca. 12 bis 16 Personen ausgewählt, die hinsichtlich der Kriterien Geschlecht, Alter, Bildung, Berufstätigkeit, Familienstand, aber auch hinsichtlich ihrer Grundeinstellungen zur Technik ein möglichst gutes Spiegelbild der dänischen Gesellschaft darstellen. Dabei sind sich die Initiator/innen darüber im Klaren, dass eine so kleine Gruppe natürlich nicht repräsentativ sein kann. Wert wird darauf gelegt, dass in der Gruppe keine ausgesprochenen Interessenvertreter/innen der einen oder anderen problembetroffenen Seite sind.
Zwei Vorbereitungswochenenden
Die eigentliche Konsensuskonferenz dauert gewöhnlich drei, manchmal auch vier Tage. Anders als bei der Planungszelle kommen die Teilnehmenden aber bereits zwei bis drei Monate oder 1 bis 1,5 Monate vorher an zwei Wochenenden zusammen, um einerseits Grundinformationen zum Thema zu erhalten und andererseits Fragen zu formulieren, die von den Fachleuten während der Konsensuskonferenz beantwortet werden sollen. Ebenso haben sie hier die Möglichkeit, Fachleute zu benennen oder aus einer Liste auszuwählen, die ihnen während der Konsensuskonferenz zur Verfügung stehen sollen.
Der Ablauf der Konsensuskonferenz ist dann ähnlich wie bei der Planungszelle zeitlich klar strukturiert. Prozessbegleiter/innen (Facilitators) stellen sicher, dass die zeitlichen Vorgaben eingehalten werden, moderieren und sorgen für eine angenehme Gesprächsatmosphäre.
Am ersten Tag hören die Teilnehmenden nacheinander die Statements der eingeladenen Sachverständigen zu den von ihnen bei den vorbereitenden Wochenenden ausgearbeiteten Fragen. Sie werten die Antworten abends gemeinsam aus und stellen Zusatzfragen an die Sachverständigen, die dann am nächsten Morgen beantwortet werden.
Nach Abschluss dieser zweiten Sachverständigenrunde, die im Übrigen wie die erste öffentlich ist, ziehen sich die Teilnehmenden zurück, um am Nachmittag und Abend das sog. Schlussdokument mit ihren Stellungnahmen zu formulieren. Dabei wird ein Konsens aller Beteiligter angestrebt. Mehrheits- und Minderheitsvoten sollen die Ausnahme bleiben.
Öffentliche Ergebnispräsentation zum Abschluss
Das Schlussdokument wird am dritten Tag im Plenum präsentiert. Die vorher angehörten Sachverständigen dürfen danach eventuelle sachliche Fehler oder Missverständnisse in dem Dokument korrigieren, aber nicht mehr inhaltlich Einfluss nehmen. Das Dokument wird von den Teilnehmenden sodann Presse und Öffentlichkeit präsentiert. Alle Teilnehmer sowie die Mitglieder des dänischen Parlamentes erhalten ein Exemplar. Mitveröffentlicht werden die Namen der Teilnehmer und sonstigen Mitwirkenden, eine kurze Darstellung der Methode sowie die schriftlichen Diskussionsbeiträge der Sachverständigen.
Themen der Konsensuskonferenzen in Dänemark | |
1987 | Gentechnologie in Industrie und Landwirtschaft |
1988 | Bürger und gefährliche Produktion |
1989 | Bestrahlung von Lebensmitteln |
1989 | Nutzung der Erkenntnisse über menschliche Gene |
1990 | Priorisierung von Maßnahmen zur Luftverbesserung |
1992 | Retortentiere - Eingriffe in das Erbgut höherer Lebewesen |
1993 | Zukunft des Automobilverkehrs |
1993 | Behandlung von Unfruchtbarkeit |
1994 | Elektronische Identitätskarte als Bürgerkarte |
1994 | Auf dem Weg zum intelligenten Verkehr (Informationssysteme) |
1994 | Integrierte Landwirtschaftsproduktion |
1995 | Chemische Stoffe in Lebensmitteln und Umwelt |
1995 | Möglichkeiten und Grenzen der Gentherapie |
1996 | Konsum und Umweltschutz |
1996 | Die Zukunft der Fischerei |
1997 | Telearbeit |
1999 | Gentechnisch veränderte Lebensmittel |
2000 | Lärmbelästigung und Technik |
2000 | Elektronische Überwachung |
2001 | Verkehrsmauten |
2002 | Gentests |
15 Anwendungsfälle
Zwischen 1987 und 1997 hat die dänische Technologiebehörde 15 solcher nationalen Konsensuskonferenzen organisiert, die zum Teil auf große Resonanz in der dänischen Öffentlichkeit gestoßen sind und politische Entscheidungen nachweislich beeinflusst haben. Themen waren z.B. Gentechnologie, Behandlung von Unfruchtbarkeit, Computergestützte Verkehrstechnologien oder Telearbeit.
Immer wieder bestätigte sich ähnlich den Planungszellen bei uns, dass Laien sehr wohl in der Lage sind, sich in kürzester Zeit auch in hochkomplizierte Zusammenhänge einzuarbeiten und qualifiziert dazu Stellung zu nehmen. Das dänische Beispiel hat Schule gemacht. Nach praktisch identischem Vorgehen wurden inzwischen auch Konsensuskonferenzen von Technologiebehörden in den Niederlanden und in Großbritannien durchgeführt.
Auf die Nähe zwischen Konsensuskonferenz und Planungszelle wurde mehrfach verwiesen. Aber es gibt auch erhebliche Unterschiede. Meines Erachtens ist die Auswahl der Teilnehmer ein Manko der Konsensuskonferenz, weil sie stärker als die Planungszelle die Rekrutierung ohnehin schon Interessierter und Sozialaktiver begünstigt. Dies wird dadurch verstärkt, dass die Konsensuskonferenzen Wochenendfreizeit - mit den Vorbereitungstagungen insgesamt 3 Wochenenden - in Anspruch nehmen und Kompensation für berufliche Freistellung nur in Ausnahmefällen vorgesehen ist.
Auch die Konzentration auf bloß eine Gruppe mit 10 bis 14 Teilnehmern birgt Risiken, da potenzielle Verzerrungen durch Meinungsführerschaften und Gruppendruck weniger gut ausgeglichen werden können als beim identischen Lauf mehrerer Gruppen, wie er bei den Planungszellen üblich ist.
Umgekehrt hat diese Singularität aber auch bemerkenswerte Vorzüge. Abgesehen davon, dass sie die gesamte Organisation und speziell den Einsatz und die Gewinnung der Sachverständigen erleichtert, erhöht die dadurch mögliche zeitnahe Präsentation des »Laien-Urteils«, nämlich unmittelbar im Anschluss, das öffentliche Interesse an den mit Spannung erwarteten Ergebnissen, wie die dänischen Erfahrungen zeigen. Auf die aus größeren Planungszellen-Projekten entstehenden Bürgergutachten müssen dagegen Öffentlichkeit und Beteiligte zumeist mehrere Monate warten, weil erst einmal der zeitlich letzte Lauf abgewartet werden muss. Danach ist eine immense Datenflut auszuwerten, und die Ergebnisse müssen zwischen den Gruppen noch einmal in Abstimmung gebracht werden.
Bemerkenswert ist auch, dass die dänischen Laien ihre Voten selber formulieren und die Ergebnisse nicht nachträglich von einem externen Team ausformuliert werden. Der Vorteil der Authentizität muss hier aber mit dem hohen Zeitverlust beim Ringen um schriftliche Formulierungen und der Gefahr, dass dabei weniger schriftgewandte Teilnehmer zusätzlich ins Hintertreffen geraten könnten, abgewogen werden.