Konfliktlösungskonferenz

Seite 1: Ziele & Voraussetzungen

Ziele & Voraussetzungen

Die Konfliktlösungskonferenz ist eine deliberative Methode in der Konzeptionsphase. Bisher liegt weder ein detailliertes Handbuch vor, noch konnte die Methode in der Praxis getestet werden. Das Verfahren weist zahlreiche Gemeinsamkeiten mit der von der dänischen Behörde für Technikfolgenabschätzung erprobten Konsensuskonferenz und der von Peter Dienel entwickelten Planungszelle/Bürgergutachten auf. Außerdem haben amerikanische Verhandlungs- und Mediationstechniken Eingang in das Konzept gefunden. Hier sind vor allem die Konfliktmediation und das CODM-Modell von Tim Hartnett zu nennen.

Dem Konzept liegt der Gedanke zugrunde, eine Konfliktlösungsmethode für den kommunalen Kontext vorzulegen, die zur Anwendung kommen kann, wenn:

  • die Durchführung eines Mediationsverfahrens an Grenzen stößt, weil es gilt, eine Vielzahl an Gruppen mit unterschiedlichen Interessen einzubinden,
  • die breite Öffentlichkeit ein hohes Interesse an der Lösung eines Konfliktes hat und das Verfahren deshalb nicht gänzlich vertraulich sein kann,
  • externe Sachverständige nötig sind, die aus einer rein fachlichen Perspektive heraus die Grenzen und Möglichkeiten einer Lösungsstrategie eruieren.

Konfliktlösungskonferenzen zielen auf die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für kontroverse Themen und tragen zur Konfliktlösung in sozialen Systemen bei, z.B. in Städten oder Stadtteilen. Direkt beteiligt sind von Interessengruppen entsandte bevollmächtigte Vertreter, die konkrete Positionen bzw. Lösungsvorschläge erarbeiten. Beispielsweise könnte die Mitgliederversammlung eines Vereins einzelne Vereinsmitglieder oder externe Dritte beauftragen, ihre Interessen wahrzunehmen. Indirekt ist die breite Öffentlichkeit eingebunden, die über den Verlauf und die Ergebnisse der Konferenz informiert wird.

Bevollmächtigte Vertreter verfügen über ein Mandat bzw. einen Vertretungsauftrag durch eine Interessengruppe. Wie bei Rechtsanwälten vertreten sie nur die Interessen ihrer Mandanten, sind in der Ausführung ihres Auftrages aber weitgehend frei. Das Mandat besteht aus einem Katalog an Dienstleistungen, die vom bevollmächtigten Vertreter selbständig geplant und durchgeführt werden. Die Konferenzthemen können unterschiedlichster Natur sein, die Ausgestaltung des Umweltschutzes, ethische oder Fragen der Stadtentwicklung betreffen.


Wesentliche Elemente der Konfliktlösungskonferenz:

  • Zusammenstellung einer 15 bis 50-köpfigen Gruppe aus ehrenamtlich wirkenden Interessenvertretern
  • Gründliches Kennenlernen und Aussprechen der Interessengruppen zu ihren Wünschen und Bedürfnissen
  • Diskussion der von den Gruppen erarbeiteten Fragen und Problemwahrnehmung mit Sachverständigen
  • Verhandlung der Kontroverse bzw. des Konflikts und Erarbeitung eines Gutachtens, welches alle relevanten Meinungen einbindet
  • Öffentliche Vorstellung der Ergebnisse und Übergabe des Gutachtens an Wissenschaft, Politik und Interessenverbände

 

Die Konferenz ergänzt so den oft allein von Fachexperten und Politikern geführten öffentlichen Diskurs durch die direkte Beteiligung der betroffenen lokalen Interessengruppen. Es geht darum, jene Bürger in Beratungs- und Entscheidungsfindungsprozesse einzubinden, die unmittelbar mit deren Konsequenzen leben müssen. Die Methode eignet sich für folgende Herausforderungen:

  • Lösungsvorschläge für öffentliche Kontroversen einholen
  • Lösungen in einer konkreten Konfliktsituation erarbeiten
  • Schwachstellen und Stärken bisheriger Entscheidungen identifizieren
  • Initiieren von Diskursen zu gesellschaftlich wichtigen Themen

Besonders wichtig für das Gelingen einer Konfliktlösungskonferenz ist die Wahrung von Transparenz. Der Versuch von Auftraggebern, Organisatoren oder Moderatoren, Einfluss auf die Ergebnisse des Verfahrens zu nehmen, kann schnell das gesamte Projekt scheitern lassen, weil dann die Konferenz ihre Glaubwürdigkeit verliert. Diese ist aber dringend notwendig, denn nur wenn die von den Interessengruppen erarbeiteten Lösungen oder Lösungsvorschläge von der Öffentlichkeit akzeptiert werden, kann eine nachhaltige Befriedung der Konflikte und Kontroversen Aussicht auf Erfolg haben.

In der Theorie und Praxis zeigt sich immer wieder, dass Konflikte nur dann einvernehmlich gelöst werden können, wenn die Konfliktparteien willens sind, in einen echten Dialog miteinander einzutreten. Jede Form von Druck, sich an den Verhandlungstisch zu begeben, wirkt kontraproduktiv und verhindert Lösungen. Nur wenn die Streitparteien wirklich bereit sind, auf die Bedürfnisse und Wünsche ihres Gegenübers einzugehen und gegebenenfalls eigene Standpunkte zu revidieren, kann eine Konfliktlösungskonferenz erfolgreich sein.

Das Ergebnis einer Konfliktlösungskonferenz ist nicht in jedem Fall und notwendigerweise ein Konsens. Eine Einigung kann auch durch einen Kompromiss oder eine akzeptierte Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden. Neben der Suche nach Einigung spielt die Herausarbeitung von Meinungsverschiedenheiten eine wichtige Rolle. Sie geben Auskunft über konkrete Wahrnehmungen. Eine nicht lösbare Differenz zwischen informierten Interessengruppen, den entsandten Vertretern, weist z.B. auf eine starke Polarisierung in dieser Frage im gesamten sozialen System hin.

Die Ergebnisse einer Konfliktlösungskonferenz dienen im öffentlichen Raum vor allem der Politikberatung. Politische Entscheidungsträger haben so die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht, die Sichtweisen von Bürgern und Interessengruppen, die sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem Thema beschäftigt haben, zu beachten. Nichtsdestotrotz sollte sich die Politik verantwortlich verhalten, denn gewinnen die Bürger den Eindruck, dass ihre Vorschläge und Ansichten nicht berücksichtigt werden, sinkt ihre Partizipationsbereitschaft rapide.

Beispiel

Beispiel: Sanierungsbedürftige Fußballplätze

In einer Kleinstadt, die aus drei Dörfern im Zuge von Gemeindegebietsreformen entstanden ist und heute rund 12.000 Einwohner zählt, gibt es drei traditionsreiche Fußballvereine, deren Spielplätze sanierungsbedürftig sind. Im Stadtrat wurde mehrfach kontrovers diskutiert, wie sich die Spielbedingungen deutlich verbessern lassen. Eine einvernehmliche Einigung, die den Interessen aller Vereine Rechnung trägt, ist weiterhin nicht absehbar.

Der städtische Planentwurf für das neue Haushaltsjahr sieht bereits Investitionsrückstellungen vor. Allein aus Eigenmitteln kann die Kommune jedoch weder einen Neubau, noch die Sanierung der bestehenden Plätze finanzieren. Sie ist auf die Genehmigung von Landesfördermitteln angewiesen. Angesichts der bestehenden Nachwuchsprobleme und der negativen demografischen Prognosen scheint es ausgeschlossen, dass die Kommune Fördermittel für die Sanierung von drei Fußballplätzen einwerben kann.

Der Bürgermeister möchte die Agentur »XY« damit beauftragen, eine Konfliktlösungskonferenz zu organisieren. Ziel ist es, ein zukunftsweisendes Konzept zu erarbeiten, das allen Vereinsinteressen Rechnung trägt und für die Stadt finanzierbar bleibt. Die Stadtverwaltung ist zudem daran interessiert, die jährlichen Unterhaltskosten der städtischen Sportanlagen nachhaltig zu senken. Die Interessengruppen vertreten folgende Positionen:

• SV Niederdorf ist der älteste Fußballverein im Ort und spricht sich für den Bau eines modernen Stadions mit einem Rasen- und Kunstrasenplatz aus, in dem alle drei Vereine ihre Punktspiele absolvieren. Die bestehenden Plätze sollen zu Trainingszwecken weiter genutzt werden.

• FC Neudorf ist der erfolgreichste Verein, dessen 1. Männermannschaft kürzlich in die Oberliga aufgestiegen ist. Der Vorstand spricht sich klar gegen den Bau eines neuen Stadions aus und möchte den eigenen Rasenplatz modernisieren. Der Verein pocht auf Eigenständigkeit.

• Alemannia Oberdorf ist der mit Abstand kleinste Fußballverein im Ort und von Auflösungstendenzen betroffen. Im Nachwuchsbereich unterhält der Verein gut funktionierende Spielergemeinschaften mit dem FC Neudorf. Der Vorstand hat sich bisher nicht klar positioniert.

• Da die Stadtverwaltung in dem Konflikt eigene Interessen wahrnimmt, besteht die Agentur »XY« darauf, dass sie als eigenständige Interessengruppe an der Konfliktlösungskonferenz teilnimmt.

Seite 2: Organisation & Ablauf, Vorbereitung

Organisation & Ablauf

Die Meilensteine auf dem Weg zur erfolgreichen Durchführung einer Konfliktlösungskonferenz sind eng mit den Kernphasen der Methode verbunden:

  • Vorbereitung: Interessengruppen und Moderation identifizieren
  • Erster Konferenztag: Wünsche und Bedürfnisse herausarbeiten
  • Zweiter Konferenztag: Fachliche Aspekte erschließen
  • Dritter Konferenztag: Einvernehmliche Lösungen entwickeln
  • Vierter Konferenztag: Bürgergutachten öffentlich vorstellen.


Vorbereitung: Interessengruppen und Moderation identifizieren

Die Vorbereitungsphase einer Konfliktlösungskonferenz ist von zentraler Bedeutung für den ganzen Verfahrensverlauf. Die Vorbereitung nimmt viel Zeit in Anspruch und erfordert genaue Recherchen. Die Organisatoren sollten erfahren im Umgang mit gesellschaftlichen Kontroversen und Konflikten sein, denn sie sind nicht nur für alle organisatorischen Fragen zuständig, sondern auch für die Moderation der Konferenz. Sie erstellen ferner die Reinform des Bürgergutachtens und zeichnen sich für die Identifikation der Interessengruppen verantwortlich.

Zusammen mit den Moderatoren planen die Organisatoren den konkreten Ablauf der dreieinhalbtägigen Konferenz. Ein wichtiger Punkt betrifft die Erstellung einer Vorschlagsliste geeigneter Sachverständiger für die Beratungen mit den Interessengruppen sowie deren offizielle Einladung. Weitere wichtige organisatorische Aufgaben schließen die Bereitstellung entsprechender Fachliteratur und die Auswahl geeigneter Konferenzräume und -materialien ein.

Ebenso sollte eine über den gesamten Verlauf der Konferenz tragende Strategie der Öffentlichkeitsarbeit definiert werden. Das ist wesentlich, denn im Vergleich zur Mediation steht die Konfliktlösungskonferenz nicht für einen vertraulichen Prozess, sondern es handelt sich prinzipiell um eine öffentliche Veranstaltung. Vor Beginn der ersten Tagung muss exakt definiert sein, wann und wie die Medien über den Fortgang und die Ergebnisse der Konferenz unterrichtet werden.

Dem Organisationsteam dürfen nur Personen angehören, die keinen mittelbaren bzw. unmittelbaren Bezug zum Thema (Konflikt) der Konferenz haben. Auf diesem Weg soll erreicht werden, dass die Methode nicht für Partikularinteressen missbraucht oder ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt wird. Idealerweise setzt sich das Organisationsteam aus anerkannten unparteiischen Personen zusammen, die für eine professionelle und entscheidungsoffene Durchführung des Verfahrens bürgen und glaubhaft auf die Interessengruppen wirken.

Eine erfahrene und unparteiische Moderation ist über alle Etappen des Verfahrens hinweg eine der zentralen Voraussetzungen. Bürger und Interessengruppen, die sich etwa nicht kennen oder nicht gut aufeinander zu sprechen sind, müssen in kurzer Zeit zu einer arbeitsfähigen Gruppe zusammen wachsen und konkrete Ergebnisse vorlegen. Immer wieder gibt es Krisen zu bewältigen, die in allen Konferenzphasen auftreten können. Es geht also darum, das Motivationsniveau der Interessengruppen für eine gemeinsame Lösung hoch zu halten.

Die kontinuierliche Betreuung aller Interessengruppen an vier Konferenztagen überfordert einen Moderator oft, sodass besser zwei Personen diese Aufgabe übernehmen. Sie sollten ein breites Spektrum an Seminar- und Moderationsmethoden nutzen, um ein effizientes Arbeiten der Interessengruppen unterstützen sowie deren Wissens- und Erfahrungspotential in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit ausschöpfen zu können. Die Moderation hat in den Verhandlungsrunden und in der Interaktion mit den geladenen Sachverständigen für eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Konferenzthema zu sorgen.

Für die Teilnahme an einer Konfliktlösungskonferenz müssen die entsandten Interessenvertreter die Bereitschaft mitbringen,

  • ehrenamtlich an vier Tagen mit Vertretern unterschiedlicher Interessengruppen die Kontroverse bzw. den Konflikt eingehend zu diskutieren
  • sich zwischen den Treffen Wissen zum Themenkreis anzueignen
  • die gesellschaftliche Herausforderung mit Sachverständigen zu erörtern
  • sich für andere Sichtweisen, Wünsche und Bedürfnisse zu öffnen
  • den anstrengenden Prozess der Lösungsfindung mitzutragen
  • die erzielten Lösungsvorschläge öffentlichkeitswirksam vorzustellen

Eine 15- bis 50-köpfige Bürgergruppe kann nicht repräsentativ für die Gesellschaft stehen. Die große Herausforderung besteht vielmehr darin, die zentralen, vom Konflikt betroffenen Interessengruppen zu identifizieren. Diese entsenden eigenständig aus ihrem Umfeld jeweils fünf bevollmächtigte Vertreter. Bei der Auswahl der Vertreter sollte darauf geachtet werden, dass verschiedene Altersgruppen, Bildungsniveaus, soziale Milieus und beide Geschlechter beteiligt sind.

Zur Identifikation der relevanten Interessengruppen lassen sich diverse Verfahren der empirischen Sozialforschung (z.B. Beobachtung oder Interview) einsetzen. Es handelt sich hierbei um einen mehrstufigen Prozess, den es mit Blick auf jeden konkreten Fall gilt, individuell anzupassen. Teilstandardisierte Fragebögen können dabei helfen, soziale Daten, den Betroffenheitsgrad sowie die Motivation und die Gründe einer Teilnahme an der Konferenz zu erfassen. Basierend auf diesen Datensätzen lässt sich nach vorab festgelegten Kriterien der Teilnehmerkreis weiter spezifizieren und es lassen sich konkrete Einladungen aussprechen.

Seite 3: Erster Konferenztag: Wünsche, Zweiter Konferenztag: Fachaspekte

Erster Konferenztag: Wünsche und Bedürfnisse herausarbeiten

Auf einer Konfliktlösungskonferenz treffen Menschen mit unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungshintergründen aufeinander. Der Wissensstand zum Konferenzthema wird unterschiedlich sein und viele Teilnehmer werden noch keine Erfahrungen mit partizipativen Verfahren gesammelt haben. Die daraus resultierende Unsicherheit müssen die Moderatoren den Teilnehmern rechtzeitig nehmen, damit aus den Interessengruppen schnell ein arbeitsfähiges Team entsteht. Der Leitsatz lautet: Jeder Bürger ist ein Experte seines Lebensumfeldes!

Am Anfang des ersten Treffens gilt es zudem, Verfahrensregeln für die Beratungen festzulegen. Die Interessengruppen müssen u.a. klären:

  • Wie gehen wir respektvoll miteinander um?
  • Wie verfahren wir bei Problemen innerhalb der Gruppe?
  • Wann arbeiten wir?
  • Wie viele Pausen brauchen wir?
  • Wie gehen wir mit der Presse und der Öffentlichkeit um?
  • Welche Arbeitsmethoden wählen wir?
  • Wie gelangen wir zu Entscheidungen und Positionen?

Im Anschluss an die Klärung der verfahrenstechnischen Fragen beginnen die Interessengruppen mit der inhaltlichen Arbeit. In dieser ersten Phase widmen sich die Teilnehmer der Themen- oder Aspektesammlung. Sie sind aufgerufen, den Problemkreis zu erfassen und aus ihren interessengeleiteten Blickwinkeln heraus darzustellen, welche konkreten Konfliktlinien sie sehen. Als Ergebnis dieses ersten Treffens liegt eine Liste »Aspekte des Konflikts« vor, die – nach Wichtigkeit geordnet – die Positionen der einzelnen Lager beschreibt. Entsprechend der Prioritätensetzung werden die Aspekte bzw. Themen später verhandelt.

Ähnlich wie in der Verhandlungsphase eines Mediationsverfahrens geht es in Konfliktlösungskonferenzen um die Aufarbeitung von Kontroversen bzw. Konflikten. Die Gruppen erweitern ihre Wahrnehmung des Problemkreises, indem sie in einen engen Dialog miteinander treten. Jede Partei hat die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge ausführlich darzulegen und wird vom Moderator gezielt nach ihren Bedürfnissen und Interessen befragt. Es geht darum, möglichst alle wesentlichen Aspekte einer gesellschaftlichen Kontroverse bzw. eines Konfliktes ins Gespräch zu bringen.

Konfliktlösungskonferenzen haben dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Parteien aufeinander zugehen und beginnen, sich für andere Sichtweisen und Blickwinkel zu öffnen. Deshalb müssen die Interessengruppen ihre Betroffenheit und Sicht der Dinge genau formulieren können. Je detaillierter und facettenreicher die Ausführungen ausfallen, umso leichter ist es, die Bedürfnisse und Wünsche der anderen Seite zu verstehen und anzunehmen.

Zweiter Konferenztag: Fachaspekte erschließen

Das zweite Treffen einer Konfliktlösungskonferenz sollte mindestens eine Woche nach dem ersten Treffen stattfinden, denn es braucht Zeit, die vielen Informationen, Positionen und Meinungsäußerungen zu verarbeiten und zu ordnen. Der zeitliche Abstand ist außerdem wichtig, da am zweiten Konferenztag das Thema rein fachlich betrachtet wird. Standen während des ersten Treffens hauptsächlich die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse der Gruppen im Mittelpunkt, so ist es beim zweiten Treffen das objektiv Machbare, der emotionslose fachliche Zugang.

In dieser Phase hören die Bürger mehrere Fachexperten, die in ihren Präsentationen den Problemkreis aus möglichst vielen unterschiedlichen Blickwinkeln (ökologische, soziale, rechtliche oder finanzielle Gesichtspunkte) heraus beleuchten. Nach jedem Vortrag, der jeweils nicht länger als 30 Minuten dauern sollte, können die Parteien Verständnisfragen stellen. Die Moderatoren haben darauf zu achten, dass die Gruppen nicht beginnen, die Vorträge der Experten zu kommentieren oder Koreferate zu halten, denn es geht in dieser Phase allein um eine Erweiterung des fachlichen Horizonts und um mehr Gespür für das tatsächlich Umsetzbare.

Bei der Auswahl der Experten ist zu bedenken, dass sie neben ihrer fachlichen Qualifikation nicht mittelbar oder unmittelbar vom Konflikt betroffen sind. Das würde ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit in Frage stellen. Damit die Fachvorträge nicht am Thema vorbei gehen, werden die am ersten Konferenztag erstellten Dokumente den Experten vorab zugestellt. Nur wenn sie genaue Kenntnis von den Positionen der Interessengruppen haben, lassen sich spezifische Aussagen zu deren Realisierbarkeit und Integration treffen.

Nach den Fachvorträgen besteht die Möglichkeit, den Experten Fragen zu stellen. Die öffentliche Erörterung von komplizierten Fragen ist für viele Bürger eine neue Herausforderung. Die Experten haben sich darauf einzustellen, dass sie ihre Expertise nicht mit einem Fachpublikum teilen, sondern mit Laien arbeiten. Da auf einer Konfliktlösungskonferenz gesellschaftliche Kontroversen diskutiert werden und es nicht nur um einen Konflikt zwischen zwei Parteien geht, findet der zweite Konferenztag unter Einbezug der Öffentlichkeit statt.

Das gesprochene Wort wird wie am ersten Konferenztag durch Stenografen erfasst. Das ist wichtig, damit keine Details verloren gehen, die die Teilnehmer am dritten Konferenztag bei der Ausarbeitung bzw. Verhandlung einer gemeinsamen Lösungsidee benötigen. Auch die Präsentationsmaterialien der Experten sollten den Interessengruppen für ihre weitere Arbeit zur Verfügung stehen. Es ist sinnvoll, dass die Organisatoren gute Unterlagen zusammenstellen.

Seite 4: Dritter Konferenztag: Lösungen, Vierter Konferenztag: Bürgergutachten

Dritter Konferenztag: Einvernehmliche Lösungen entwickeln

Das dritte Treffen steht ganz im Zeichen des Findens einer einvernehmlichen Lösung. Es geht darum, die Interessen und Bedürfnisse aller Gruppen (siehe Ergebnisse erster Konferenztag) miteinander in Einklang zu bringen und dabei das objektiv Machbare (siehe Ergebnisse des zweiten Konferenztages) nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei handelt es sich um einen mehrstufigen Prozess:

  • Die Teilnehmer beginnen mit dem Thema bzw. Themenaspekt, dem am ersten Konferenztag die höchste Priorität beigemessen wurde. Jede Interessengruppe ist aufgerufen, unabhängig voneinander einen konkreten Lösungsansatz auszuarbeiten und bestellt jeweils zwei Verhandlungsleiter.
  • Die Aufgabe der Verhandlungsleiter besteht darin, den Gruppenvorschlag an einem separaten Verhandlungstisch vorzustellen. Nachdem alle Parteien ihre Ideen präsentiert haben, können die Verhandlungsführer und Moderatoren ermitteln, wo inhaltliche Schnittpunkte liegen. Sollten genügend inhaltliche Schnittpunkte vorliegen, so können sich die Interessengruppen dem nächsten Thema bzw. Aspekt zuwenden. Sollten die inhaltlichen Schnittpunkte für eine einvernehmliche Lösung nicht ausreichend sein, überweist der Moderator entweder Teile des Entwurfes oder den ganzen Entwurf zur Überarbeitung an die Gruppen zurück.
  • Der Prozess des Hin- und Herüberweisens hält so lange an bis eine einvernehmliche Lösung gefunden wurde oder eine Interessengruppe das Fazit »keine Lösung möglich« zieht und die Verhandlungen abbricht. Der Prozess beginnt dann wieder von vorne mit dem nächsten Thema/Aspekt.

Eine wichtige Entscheidung, die die Interessengruppen treffen sollten, bevor sie die Entwürfe an die Verhandlungstische überweisen, betrifft das »Einigungsverfahren«. Es hat großen Einfluss auf die Arbeitsweise der Gruppen und die Form der Lösungsvorschläge. Drei klassische Verfahren (Abstimmung, Kompromiss und Konsens) und ein Sonderfall (keine Einigung) sind vorstellbar.

Der Sonderfall »keine Einigung« findet dann Anwendung, wenn das Ziel der Konferenz nicht darin besteht, eine Einigung herbeizuführen, sondern das Interesse der Auftraggeber darin besteht, von den Interessengruppen Lösungsvorschläge für aktuelle Probleme zu erhalten. In diesem Fall werden die Vorschläge einfach zu einem Bürgergutachten zusammengefasst und der Öffentlichkeit übergeben. Welche Ideen die politischen Entscheidungsträger letztlich aufgreifen, darauf haben die Bürger keinen Einfluss.

Die Abstimmung ist ein Verfahren, in dem jeder Teilnehmer mehrere Stimmen, die sich panaschieren und kumulieren lassen, auf die Lösungsvorschläge der Gruppen verteilt. Nachdem alle Vorschläge vorgestellt wurden und jede Interessengruppe die Möglichkeit hatte, die Entwürfe aus ihrer Sicht zu kommentieren, lassen sie sich einmal zur Überarbeitung zurücküberweisen. Soll eine Lösung überzeugen, muss sie also möglichst die Interessen aller Gruppen einfangen, denn es wird jener Entwurf in das Bürgergutachten eingearbeitet und veröffentlicht, auf den die meisten Stimmen entfallen.

Die Kompromissmethode hält die Interessengruppen an, Abstriche bei ihrer Ausgangsposition zu machen. Der Moderator sendet die Lösungsvorschläge bzw. jene Teile davon, für die noch kein einvernehmliches Ergebnis vorliegt, so lange zwischen den Verhandlungs- und Gruppenarbeitstischen hin und her, bis ein tragfähiger Kompromiss gefunden wurde. Im Unterschied zur Abstimmung stellt das Verfahren sicher, dass die Gruppen aufeinander zugehen und keine Formulierung Eingang in das Bürgergutachten findet, der zuvor nicht alle Interessengruppen zugestimmt haben.

Ein Konsens liegt dann vor, wenn alle Interessen, Wünsche und Bedürfnisse der Interessengruppen zu einem gemeinsamen Lösungsvorschlag verarbeitet werden konnten. Die Arbeitsgruppen sind insofern aufgerufen, Lösungsvorschläge zu unterbreiten, die alle Interessen in ein Konzept überführen. Darin liegt das zentrale Ziel von Konfliktlösungskonferenzen. Sie suchen nicht nur den Ausgleich, sondern sollen Lösungen erzeugen, mit denen alle Gruppen langfristig gut leben können. Es geht um Win-Win-Lösungen.

Die Konsensfindung fordert in aller Regel viel Zeit, viel Know-How und Kreativität. Hierfür braucht es verschiedene Moderationstechniken und man kann davon ausgehen, dass Lösungsvorschläge mehrfach überarbeitet werden müssen. Der Zeitaufwand für das kräftezehrende Ringen um Formulierungen, die alle Teilnehmer mittragen können, wird dabei häufig unterschätzt und die Organisatoren sind gut beraten, alles Notwendige für lange Nachtschichten bzw. einen zweiten Verhandlungstag vorzubereiten.

Vierter Konferenztag: Bürgergutachten öffentlich vorstellen

Der vierte Tag bildet den Höhepunkt einer Konfliktlösungskonferenz. Hier stellen die Interessengruppen ihr Gutachten der breiten Öffentlichkeit vor. Es spiegelt letztlich die Lebens- und Berufserfahrung der Teilnehmer zum Konferenzthema wieder. Im Vorfeld des vierten Konferenztages kommt den Organisatoren noch einmal eine wichtige Aufgabe zu. Sie sind dafür zuständig, die von den Interessengruppen erarbeiteten Vorschläge und Positionen zu einem in sich schlüssigen, für die Öffentlichkeit bestimmten Dokument zusammenzustellen.

Das Gutachten ist für die Politik nicht bindend, kann Entscheidungsträgern jedoch helfen, rechtzeitig Konfliktlagen und Lösungsoptionen zu erkennen. In den Diskussionen mit der Öffentlichkeit wird es deshalb wahrscheinlich auch um die Frage gehen, in welcher Form die Lösungsvorschläge von den Entscheidungsträgern aufgegriffen werden. Denn jede erarbeitete Lösung ist nur so gut wie ihre allgemeine Akzeptanz und die Qualität ihrer Umsetzung. Die Anwesenheit wichtiger Akteure aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft ist ein Erfolgsindikator.

Literaturtipp

Dienel, Peter C.: Die Planungszelle, Die Bürger als Chance. 5. Auflage, 2005.

Dienel, Peter C.: Demokratisch – Praktisch – Gut, Merkmale, Wirkungen und Perspektiven von Planungszellen und Bürgergutachten. 2009.

Dulabaum, Nina L.: Mediation: Das ABC: Die Kunst, in Konflikten erfolgreich zu vermitteln. 5. Auflage, 2009.

Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die Ursachen von Rechtsextremismus und mögliche Gegenstrategien der Politik, Dokumentation einer Bürgerkonferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung, library.fes.de/pdf-files/do/04235.pdf. 2006.

Gesellschaft für Bürgergutachten (Hrsg.): Bürgergutachten für Gesundheit. In: www.buergergutachten.com/fileadmin/downloads/bg_gesundheit/buergergutachten_gesundheit.pdf. 2004.

Hartnett, Tim: Consensus-Oriented Decision-Making: The CODM Model for Facilitating Groups to Widespread Agreement. 2011.

Meuer, Dirk: Mediation und Planungszelle, Zwei diskursive Bürgerbeteiligungsverfahren im demokratietheoretischen Vergleich. 2008.

Moore, Christopher W.: The Mediation Process, Practical Strategies for Resolving Conflicts. 3rd edition, 2003.

Sandner, Frank E. A. / Rogers, Nancy H. / Cole, Sarah R. / Goldberg, Stephan B.: Dispute Resolution: Negotiation, Mediation, and Other Processes. 4th edition, 2004.

Autor

Dr. Jürgen Smettan
Dr. Peter Patze