Methodenbeschreibung

Seite 1: Am Anfang war der Wortsalat

Am Anfang war der Wortsalat oder: Wie intelligente Menschen es immer wieder schaffen, unintelligent zu diskutieren

Wir alle, ob als Moderator/innen oder Besprechungsteilnehmer/innen, ob in Diskussionen, politischen Planungsrunden oder betrieblichen Ideenwerkstätten, kennen folgendes Phänomen:
Da lädt jemand ein nach der Devise: »Meine Damen und Herren, schön dass Sie hier zusammengekommen sind, es geht darum, folgendes Problem gemeinsam zu lösen... Wenn ich Sie nun bitten darf, dazu Stellung zu beziehen.«
Das Gesprächsdrama, das sich danach häufig abspielt, klingt dann ungefähr so:

Herr X meldet sich als erster zu Wort: »Bevor wir anfangen, langwierig und zeitraubend in breite Diskussionen einzusteigen, sollten wir zuerst eine valide und differenzierte Datenbasis als Analysegrundlage erheben, auf Grund derer wir empirisch solide, faktenbezogen und realitätsnah unsere Planung aufbauen können...«. Herr X hat kaum ausgesprochen, da fällt ihm Herr Y ins Wort: »Hören Sie doch auf mit Ihrer Analysegläubigkeit; bei uns in der Abteilung stapeln sich die Ergebnisse sowohl verschiedener teuer eingekaufter Unternehmensberatungen, als auch die Analyse eines führenden Fachinstituts sowie zwei Universitätsgutachten. Was ist damit seit Jahren passiert? Nichts. Aber auch rein gar nichts. Endlose Ausdrucke und Papierproduktion, nur faktisch sind wir keinen Schritt weitergekommen. Worauf es jetzt ankommt ist: Eine klare Zielsetzung mit Ergebnisorientierung. Was soll bei dem Prozess rauskommen? Eine pragmatische Projektplanung mit genau festgelegten Meilensteinen. Die Bereitstellung der nötigen Ressourcen zur Umsetzung. Handfest und aktionsorientiert. Wir müssen Erfolge vorweisen. Action is on!« Als Herr Y bei dem Wort »handfest« mit Wucht auf den Tisch klopft, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, fühlt sich Kollegin Z auf den Plan gerufen: «Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten doch angesichts dieses Themas, das uns alle berührt, keine unnötigen Gräben aufreißen und uns gegenseitig den Respekt verweigern. Bevor wir in die Sache einsteigen, sollten wir vielleicht für eine harmonischere Gesprächsatmosphäre sorgen und Spielregeln aufstellen, wie wir miteinander umgehen wollen. Diese Zeit sollten wir uns nehmen...«. Das Raunen, das sich bei einigen männlichen Kollegen breit macht, wird von einer jungen Kollegin genutzt, sich in die Diskussion einzumischen: »Also liebe Leute, ich glaube, Ihr habt die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt: Weder eure langwierige analytische Akribie, weder dieser gepflegte Sägewerkspragmatismus nach der Devise: mit ›Hau-Ruck‹ kräftig sägen, auch wenn die Säge stumpf ist, noch diese Harmoniebestrebungen nach dem Motto ›gut, dass wir ausführlich darüber gesprochen haben‹, bringen uns weiter. All das täuscht nicht darüber hinweg, dass uns für dieses Projekt eine zündende Idee fehlt, eine innovative Konzeption mit visionärem Charakter, die unseren traditionellen Auftritt radikal verändert und uns zukunftsfähig macht!«

Sie können sich vorstellen, wie diese Diskussion weitergeht: Nach und nach fällt das »Verpackungspapier der Höflichkeit« weg (der Ausdruck stammt von Dr. Erwin Küchle), die Positionen verhärten sich und je mehr eine Teilnehmerin bzw. ein Teilnehmer auf Ihrem bzw. seinem Rezept zur effektiven Diskussionsgestaltung insistiert, umso mehr fühlen sich die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen eingeladen, zu zeigen, was für ein Schmarrn es ist, gerade so »undifferenziert« zu denken. Die Folge ist: Jeder nimmt eine besserwisserische Rolle ein, die Diskussionsbeiträge gehen wild durcheinander, man einigt sich krampfhaft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner oder rettet sich in die Vertagung der Sitzung. Am Ende der Diskussion herrscht bei vielen Teilnehmern das frustrierende Gefühl vor: Keine der wertvollen Kompetenzen, welche die Teilnehmenden mitbringen, ist richtig zur Geltung gekommen. Wenn für das Diskussionsergebnis eine Metapher gesucht würde, wäre es oft die berühmte »graue Suppe«, ein energieloses Ergebnis mit wenig Attraktivität für die Beteiligten. Das Vorurteil, dass solche Besprechungen und Diskussionen »nichts bringen«, wurde wieder einmal anschaulich bestätigt und dementsprechend erwartet man von der nächsten Sitzung wieder nichts als Zeitverschwendung, gibt seine selbstbezüglichen Rezepte ab, wie man denn »richtig« diskutieren sollte und trägt damit zur nächsten Runde des »Teufelskreises« uneffektiver Diskussionskultur bei.

Diese fiktive Diskussionsrunde, die stark an die Kommunikationsparadoxien von Loriot erinnert, ist selbstverständlich stark überzeichnet. Wenn jedoch die Frage gestellt wird: »Was glauben Sie aus ihrer Lebenserfahrung: Wie viel Energie geht im Alltag dadurch verloren, dass wichtige Haltungen und Kompetenzen, wie die des:

  • sorgfältig kritischen Analytikers
  • planvollen strukturierten Pragmatikers
  • emotionalen kommunikativen ›Atmosphärikers‹
  • kreativen risikofreudigen Grenzgängers

sich nicht synergetisch ergänzen, sich nicht gegenseitig befruchten, sondern sich gegenseitig das Wasser abgraben?« Dann lautet die Antwort vielfach: » Zwischen 50 und 80 Prozent Energie-, Motivations- und Effektivitätsverlust!«

Dieses magere und traurige Ergebnis, täglich zwischen Flensburg und Passau in Besprechungen, Diskussionen, Politikerrunden und Planungen zigtausendfach wiederholt, lässt ernsthaft an der »diskursiven Kommunikationskompetenz« zweifeln.

Seite 2: »Was tun?« fragt die Mickey-Maus, Der Raum des Träumers

Was tun? fragt die Mickey-Maus

Walt Disney war nicht nur der Erfinder der Mickey-Maus, des Dschungelbuchs oder von Filmprojekten wie »Die Wüste lebt«. Diesem Multitalent, der die Eigenschaften eines Künstlers, eines Technikers und eines Unternehmers erfolgreich in sich vereinigte, wird auch die Urheberschaft einer kreativen und effektiven Moderationsmethode nachgesagt, die wir fortan die »Walt-Disney-Strategie« nennen wollen.

Durch die Planung und Durchführung großer Filmprojekte wusste Walt Disney aus eigener Erfahrung, dass es wichtig ist, die unterschiedlichen fachlichen Blickwinkel auf ein komplexes Projekt in der Planung miteinander zu harmonisieren, gleichzeitig die persönliche Verschiedenartigkeit in Temperament, Arbeits- und Denkstil der Projektbeteiligten zu respektieren und insgesamt die Vielfalt dieser unterschiedlichen Sichtweisen kommunikativ zu integrieren. Dazu diente ihm folgendes Verfahren:

Der Raum des Träumers

Für den kraftvollen Start eines Projektes ist Energie, Ideenkraft und Aufbruchstimmung die Grundvoraussetzung.
Zu solchen Gelegenheiten lud Walt Disney eine Gruppe von Beteiligten unterschiedlichster Professionen zusammen (Techniker, Dramaturgen, Zeichner, Marketingleute, Finanzexperten...) und begab sich mit ihnen in einen besonders gestalteten Raum. Dieser Raum war wohltemperiert, es herrschte ein angenehmes Klima vor, es gab Blumen und Pflanzen, bequeme Sitzmöbel, er war freundlich und transparent gestaltet, gab den Blick auf die Umgebung frei und war von warmem Licht durchflutet. Diese architektonische Gestaltung sollte es den Menschen leichter machen, in eine kreative Denkhaltung zu gelangen.
Die Grundfragen, die in diesem Raum das Leitmotiv abgaben, waren:

  • Welche interessanten und attraktiven Ideen fallen uns für das Projekt ein?
  • Was sind unsere Visionen und Träume dazu?
  • Wenn wir ›ohne wenn und aber‹, ohne Kompromisse denken könnten, was wäre für uns das Maximum, die wünschenswerteste Vorstellung?

Im Raum des Träumers werden die ungewöhnlichsten Vorstellungen gesammelt, haben die verrücktesten und revolutionärsten Ideen Platz. Hier wird der Rohstoff für jene Projektelemente gesponnen, die das Projekt attraktiv, spannend, schön, aufsehenerregend, motivierend usw. machen. Die Spielregeln im Raum des Träumers lauten:

  • »Denke ohne Limits!«
  • »Nichts ist unmöglich!«
  • »Jeder großen Tat geht eine kühne Vision voraus!«

Im Zusammenhang mit den »Spielregeln« ist es wichtig einen »Schiedsrichter« in jeder Arbeitsgruppe zu benennen, der strikt darauf achtet, dass sich die Gruppe argumentativ und inhaltlich ausschließlich in dem jeweiligen Denkraum bewegt und nicht in andere Denkhaltungen abgleitet.
Diese Arbeitsphase dauert in der Regel circa eine Stunde, dann wird man feststellen, dass die kreative Energie für frische und ungewöhnliche Gedanken abnimmt.
Anschließend wird der Raum verlassen und eine längere Pause gemacht, um »Kopf und Körper auszuschütteln« und um einen frischen Blick für die nächste Arbeitsphase zu ermöglichen, in der eine andere Denkhaltung eingenommen wird.

Seite 3: Der Raum des Pragmatikers, Der Raum des Kritikers

Der Raum des Pragmatikers

Dieser Raum ist architektonisch sachlicher gestaltet, ist kühler temperiert und hat eher Werkstattcharakter. Man blickt auf große Papierbahnen und Gestaltungsflächen. Im Raum und auf Arbeitstischen sind Zeichenstifte, Materialien und Farben verteilt. Man sieht Menschen, die Storyboards, Skizzen, Berechnungen oder Projektplanungen erstellen.
Hier werden all jene Ideen gesammelt, wie sich die attraktive(n) Vision(en) des ersten Raumes möglicherweise umsetzen lassen:

  • Was alles fällt uns ein, wie unsere Ideen praktisch Gestalt annehmen könnten?
  • Was könnte man dafür alles tun?
  • Welche technischen, künstlerischen, finanziellen, rechtlichen usw. Möglichkeiten könnten dazu beitragen, unsere Vision umzusetzen?
  • Welche innovativen Ideen, ungewöhnlichen Maßnahmen fallen uns ein, die uns darin unterstützen könnten, unsere attraktiven Ziele zu erreichen?

Diese Phase ist eine Mischung aus Kreativität, Lebenserfahrung und Fach-Know-how. Im Mittelpunkt steht die Anwendungsorientierung nach dem Motto: »Gut ist, was nützt!«
Im Raum des Pragmatikers geht es noch nicht darum zu prüfen, ob die Ideen zur Umsetzung der Vision in der Realität auch wirklich machbar sind. Dies wird Gegenstand der Prüfung im letzten Raum, dem Raum des Kritikers sein. Doch zuvor gehört wieder eine systematische Unterbrechung des Denkprozesses mit Raumwechsel zur Methode.

Der Raum des Kritikers

Dieser Raum ist enger gebaut, es steht den Teilnehmern nicht so viel Platz wie zuvor zur Verfügung. Atmosphäre und Raumarchitektur sind nüchtern. Temperatur und Farbgebung sind sachlich und kühl. Der Blick fällt auf juristische Literatur, eine Sammlung der Geschäftsberichte anderer Unternehmen, Tabellen und Bilanzen, Rechenmaschinen, Zeit-, Termin- und Personalplanungsinstrumente.

Die Teilnehmer haben den Raum des Kritikers betreten. Hier kommen nun endlich all jene Personen zum Zuge, die sich schon in den ersten beiden Phasen gefragt haben: Wie soll das nur möglich sein? Ist das auch nur eine Spur realistisch?
Die Leitfragen im Raum des Kritikers sind:

  • Können wir die für die Umsetzung notwendigen Ressourcen mobilisieren?
  • Haben wir nichts Wichtiges übersehen? Im technischen Detail, im unternehmerischen Umfeld, in der Branche?
  • Welche Risiken gibt es für die Projektdurchführung?
  • Welche Chance haben wir, unsere Vision zu realisieren, welche Chancen, die angedachten Realisierungspotenziale auch tatsächlich zu aktivieren?
  • Welche Reaktionen in unserem Umfeld könnten auftreten, mit denen wir vielleicht rechnen müssen?

Diese Phase ist extrem wichtig für die Projektplanung, weil hier der Realitätscheck für die Gegenwart und für die Zukunft vorgenommen wird. Im Bild aus der Seefahrt:

  • In der ersten Phase wird das »Traumschiff« entworfen und eine lohnende Vision von einem attraktiven Expeditionsziel festgelegt.
  • In der zweiten Phase werden Realisierungspläne zur Konstruktion und Finanzierung des Schiffes entworfen.
  • In der dritten Phase werden alle Untiefen, Eisberge oder auch Meutereien ausgelotet, die die Expedition gefährden könnten. Die Kritikerphase hat somit eine Radar- und Warnfunktion.

 

Seite 4: Resümee, Der Effekt

Resümee

Das Prinzip der Walt-Disney-Strategie ist genial und einfach:

  • Den wichtigsten Kompetenzen für eine solide und ganzheitliche Projektplanung wird jeweils exklusiv und ausreichend eigener Denkraum geboten.
  • Der Gefahr der oben beschriebenen »Misch-Masch-Falle« in Diskussionen wird dadurch begegnet, dass jede der Denkhaltungen ausdrücklich als wertvoll gewürdigt wird.
  • Das Durcheinander wird zum Nacheinander entzerrt, indem jede Haltung nacheinander ihren Platz bekommt.

Der Effekt

  • Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer fühlt sich mit ihrer bzw. seiner »Denke« aufgehoben.
  • Konsens wird möglich, weil man nicht mehr darauf angewiesen ist, sich aus Profilierungsmotiven der »Denke« des anderen entgegenzustellen. Dadurch wird der üblichen Polarisierung in Gruppenprozessen entgegengewirkt.
  • Es besteht die Chance, aus eingefahrenen, sozialen Rollen und Haltungen »der Spinner«, der »Erbsenzähler«, der »Macher«, der »Bedenkenträger« usw. auszubrechen und neue Rollenflexibilität mit den dazugehörigen neuen Perspektiven zu genießen.
  • Respekt und Toleranz vor der Andersartigkeit anderer Diskursteilnehmer nehmen zu.
  • Die Effektivität der Methode bzgl. Zeiteinsatz, Ergebnisgüte und Bearbeitungstiefe wird als wohltuend empfunden.
  • Durch die Würdigung und Einbeziehung aller Denkhaltungen wird das Ergebnis zu einer gemeinsamen Sache, zum »gemeinsamen Baby«.

Die Methode kann zyklisch angewendet werden:
Nach Durchlaufen der ersten drei Räume ist es meist sinnvoll noch einmal in den Raum des Träumers zu gehen und die Erkenntnisse und Erfahrungen, die sich aus den Phasen 2 und 3 ergeben haben, noch einmal zu integrieren, das Projekt zu redesignen, rund zu machen.
Des Weiteren können die Zyklen auch so lange durchlaufen werden, bis die Bedenken im Kritikerraum auf ein akzeptables  Minimum reduziert sind und man nun das Gefühl hat, dass visionärer Gehalt und kritischer Realismus gut ausbalanciert sind.
Die Methode des »separat«-Setzens, des systematischen Unterbrechens der Denkhaltungen durch zeitliche und räumliche Trennungen, ist für die Effektivität der Methode sehr wichtig und hilfreich.
Sie baut auf der Erfahrung auf, dass körperliche und mentale Zustände korrespondieren und dass es uns schwer fällt, von einem Zustand in den anderen einfach so zu wechseln.
Die Walt-Disney-Strategie ist ein universelles Modell. Sie lässt sich in den verschiedensten Feldern einsetzen:

  • auf individueller Ebene als Coaching und Selbstcoachingmodell
  • auf Team- und Gruppenebene als kreatives Moderationsverfahren
  • auf Organisations- oder Stadt-, Regionalentwicklungsebene als Fahrplan für Phasen in der Projektentwicklung.