Praxisbeispiel Politsches Innovationslabor »Re:Think Austria«

Was wäre wenn?

Was wäre wenn? Wie oft ertappen wir uns bei diesem Gedankenspiel? Wie oft schaffen wir es wirklich, losgelöst von den Zwängen des Alltags, über Alternativen und Ideen für Neues nachzudenken?

Was im privaten Leben schon schwer genug fällt, scheint im Alltag junger politischer Führungskräfte in Österreich noch viel schwieriger zu sein. Zu groß sind die Zwänge der parteiinternen Hierarchien, zu stark der Druck sich im Tagesgeschehen zu behaupten und den immer skeptischeren Bürgern Rede und Antwort zu stehen. Und dennoch gehört es zur ureigensten Verantwortung einer Politikerin und eines Politikers, sich über die langfristige Entwicklung unserer Gesellschaft Gedanken zu machen.

Das Europäische Forum Alpbach (EFA) hat sich 2013 getraut zu fragen: »Was wäre wenn«. Was wäre, wenn wir einen Raum schaffen würden, in dem jungen Politiker/innen über Parteigrenzen hinweg offen reflektieren und einen respektvollen Dialog über die Zukunft unsere Landes führen können? Das EFA hat auf diese Frage hin gehandelt und gemeinsam mit Andreas Kovar und dem Moderationsteam von freims:consulting das Innovationslabor »Re:think Austria« ins Leben gerufen.

Handlungsspielräume ausloten

In den letzten fünf Jahren hat das EFA mit diesem Veranstaltungsformat einen kon­struk­tiven Dialog über Parteigrenzen hinweg ermöglicht. Es zeigte sich, dass neue Formen der Zusammenarbeit und des Problemlösens auch in der Politik möglich sind. Vor allem ist es gelungen, Themen aufzugreifen, die langfristig für Österreich von enormer Bedeutung sind, aber im politischen Alltag nicht genug Beachtung finden.

Beim politischen Innovationslabor Re:think Austria geht es darum, Handlungsspielräume aufzuzeigen und einen Dialograum zu schaffen, der so in der realen Politikwelt (noch) nicht existiert. Politische Führungskräfte, die in Parteistrukturen, Wahlkämpfen und in der politischen Arbeit wenig Erfahrung mit neuen Formen der konstruktiven Zusammenarbeit machen, bekommen zudem indirekt auch Methoden und Prozesskompetenz vermittelt. Dahinter steht die Überzeugung, dass Politiker/innen sich erst auf mehr Beteiligung einlassen können, wenn sie selbst positive Erfahrungen damit gemacht haben. Re:think Austria bietet eine solche Erfahrung.

Ungewohnte Spielregeln

Jährlich lädt das EFA eine Gruppe politisch engagierter Köpfe aus allen Parteien ein, sich zwei Tage Zeit zu nehmen, um sich möglichst unvoreingenommen auf ein Thema einzulassen und die Standpunkte der Anderen kennenzulernen. Die Teilnehmer/innen einigen sich bei diesem sozialen Experiment darauf, persönliche Aussagen nicht nach außen zu tragen und sich während des Labors mit dem Vornamen anzusprechen. Die Teilnehmer/innenliste wird erst am Schluss ausgegeben.

Das Design von Re:think Austria basiert auf der Theorie U von Klaus Otto Scharmer und geht davon aus, dass neue Lösungen und Ansätze vor allem dann wirksam werden können, wenn die unterschiedlichen Stakeholder gemeinsam daran arbeiten. Dabei geht es um ein wirkliches Zuhören und Eintauchen in die vielfältigen Perspektiven. Zuhören um seine eigene Meinung bestätigt zu bekommen, reicht nicht. Es geht vielmehr darum, miteinander in Kontakt zu kommen, um gemeinsam die gesellschaftliche Situation oder das politische System Österreichs besser zu verstehen.

Der Ablauf ist in drei Phasen unterteilt:

 

  • Gemeinsames Hinschauen und Hinhören (mit offenem Herzen und Denken) – hier kommen Impulsgeber/innen zu Wort, es gibt Diskussionen in verschieden zusammengesetzten Kleingruppen und es gilt, so viele Informationen wie möglich zu sammeln, um ein möglichst vollständiges Bild des Status Quo zu bekommen.
  • Gemeinsame Willensbildung: Die individuellen Einsichten kommen zusammen, sodass ein (neues) Verständnis entstehen kann, das größer ist als die Summe der Teile (»Presencing«).
  • Gemeinsames Experimentieren: Erst dann kommt es zur Entwicklung von Lösungen und Ideen. Was kann konkret umgesetzt werden? Welche Ideen oder Ansätze können Veränderung bringen?

Die ca. 40 teilnehmenden Politiker/innen sind zwischen 20 und 40 Jahre alt und kommen aus unterschiedlichen Verantwortungsbereichen: aus der Regionalpolitik, aus Minis­terbüros, dem Parlament und aus Vorfeldorganisationen. Nur durch Vielfalt entsteht Neues.

Diese Vielfalt wird auch durch die Einbindung einer Gruppe von weiteren 15 politisch interessierten Quer- und Vordenkern aus Österreich und dem deutschsprachigen Ausland erreicht. Dem Eigentümer eines Industrieunternehmens kann man hier genauso begegnen wie der Begründerin einer Bürgerinitiative oder einem Filmemacher. Die Einladung dieser kleinen Gruppe von nicht im System stehenden Personen ist insofern wichtig, als sie absichtslos mithelfen, bestehende Muster und Probleme der Politik zu hinterfragen. Indirekt verlassen aber auch sie die Veranstaltung mit einer anderen Perspektive und oft mit mehr Wertschätzung und Verständnis für politische Arbeit.

Netzwerke des Vertrauens bilden

Was entsteht, wenn Menschen ganz unterschiedlicher und oft sehr konträrer ideologischer Standpunkte zwei Tage abseits ihrer gewohnten Arbeitsumgebung auf einander treffen und qualitätsvollen Dialog und Gespräche erleben können?

Zum einen entstehen Netzwerke des Vertrauens. Auch wenn man sich als Gegner im Alltag gegenübersteht, kann man doch leichter aufeinander zugehen. Zum anderen entstehen konkrete Ideen und Initiativen, die anderswo weiterwachsen können und die in den umfassenden Berichten zu Re:think Austria dokumentiert sind.

Teilnehmer/in:
»So viel Dynamik, Kreativität, Offenheit, Ehrlichkeit und Aufbruchstimmung in so einer großen Gruppe, bestehend aus Menschen mit verschiedenster beruflicher und politischer Herkunft, habe ich noch nie gesehen. Das lässt mich hoffen, dass die richtigen Dinge für eine gute Zukunft wachsen und gedeihen können.«

Teilnehmer/in:
»Im Alltag blickt man viel zu wenig über den Tellerrand hinaus. Ich halte es für sehr wichtig, dass diese Veranstaltung weiter geführt wird, sie leistet einen wertvollen Beitrag für die gegenseitige Akzeptanz und den Wissensaustausch!«

Externer Link

Europäisches Forum Alpbach: Projektinformationen und eine umfassende Dokumentation der jährlichen Veranstaltungen unter www.alpbach.org/rethink