Methodenbeschreibung

Seite 1: Methode

Der Theorie-U-Prozess ist zunächst ein methodisches Vorgehen in Veränderungsprozessen oder eine Methode zur Bewältigung von Herausforderungen. Der U-Prozess in seiner tieferen Bedeutung ist zudem eine innere Haltung. Er bringt Menschen zu ihrer persönlichen »Quelle der Kreativität«. Im Prozess finden Menschen heraus, was ihre zentrale Aufgabe bei der Bewältigung einer komplexen Herausforderung ist. Die Beteiligten berichten sich gegenseitig über ihre persönlich bedeutsamen Geschichten (first person stories). Sie sind damit mit Kopf, Herz und Hand bei der Sache und können konsequent handeln. Begleitend zu diesem Prozess entsteht ein kreatives Feld, in dem Menschen innovativ eine konkrete Herausforderung konstruktiv bewältigen können.

Akteure beteiligen – Innovative kommunale Veränderungsprozesse gestalten

Globalisierung, demografische Entwicklung, zunehmende wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik und Komplexität sowie die hohe Veränderungsgeschwindigkeit in unserer Gesellschaft erfordern neue Denkmuster. Um dies zu erreichen, bedarf es eines grundlegenden mentalen Wandels. Eine Möglichkeit, diesen Wandel zu gestalten, bietet das Konzept der »Theorie U«, das von C. O. Scharmer von der MIT Sloan School of Management, Society for Organizational Learning entwickelt wurde. Der Theorie-U-Prozess ist dabei mehr als ein methodisches Vorgehen in Veränderungsprozessen oder eine Methode zur Bewältigung von Herausforderungen. Der U-Prozess in seiner tieferen Bedeutung ist eine innere Haltung, die Menschen zu ihrer persönlichen »Quelle der Kreativität« bringt. Im Prozess finden Menschen heraus, was ihre zentrale Aufgabe bei der Bewältigung einer komplexen Herausforderung ist. Die Beteiligten berichten sich gegenseitig über ihre persönlich bedeutsamen Geschichten (first person stories). Sie sind damit mit Kopf, Herz und Hand bei der Sache und können konsequent handeln. Begleitend zu diesem Prozess entsteht ein kreatives Feld, in dem Menschen innovativ eine konkrete Herausforderung konstruktiv bewältigen können.

Seite 2: Der erste Raum in U-Prozess

Raum der Bewusstwerdung – Der erste Raum im U-Prozess

1. Schritt: Stoppen des Downloadings

Die größte Schwierigkeit, die gewohnheitsmäßigen Strategien und Denkmuster bei der Bearbeitung von umfassenden sozialen Anforderungen zu verändern, ergeben sich bei der Wahrnehmung und der ersten Annäherung. Es geht darum, die Anwendung gewohnheitsmäßiger erfolgreicher Lösungen aus der Vergangenheit, den Prozess des »Downloadings«, der unreflektiert auf die neuen Herausforderungen angewendet wird, zu verhindern oder zu unterbrechen.

Dieser Prozess des Unterbrechens gewohnheits- und vergangenheitsorientierter Lösungsmuster (Suspension) ist die Eintrittskarte in das kreative Feld (Burow/Hinz 2003). Allerdings ist dies aufgrund eigener prägender Erfahrungen in der Lebens- und Berufsbiografie und den damit erworbenen »mentalen Modellen« und den Lösungsstrategien des »Mehr oder weniger von demselben« gar nicht so einfach zu realisieren.

Zudem ist die Illusion des »Downloadings« bewährter Strategien auch nicht für jeden sofort ersichtlich. Der Geschwindigkeitsdruck und der Wunsch nach schnellen Lösungen im Umfeld und bei einem selbst sind zum Teil übermächtig. Gelingt es nicht, das »Downloading« zu unterbrechen, zementiert dies die Fragmentierung der unterschiedlichen Perspektiven und festigen die einmal eingenommenen Standpunkte. Es zeigt sich eine scheinbar nicht auflösbare Erstarrung aller Positionen – zumeist als formuliertes Ergebnis aller Beteiligten: »alter Wein in neuen Schläuchen«.

In diesem Schritt beginnt der Zugang zu den persönlich bedeutsamen Geschichten. Alle Anwesenden bekommen ein Blatt, auf dem sie zuerst eine wertschätzende Situation/Geschichte zum Thema des Abends aufschreiben. Eine Situation/Geschichte, die sie selbst erlebt haben und die für sie persönlich eine hohe Bedeutsamkeit hatte. Als nächstes malen sie noch ein Symbol für die Geschichte auf ihr Blatt und geben dem Ganzen eine Überschrift oder einen Titel.

Als nächsten Schritt bekommen die Beteiligten den Auftrag, sich auf einen »Marktplatz« zu treffen und sich gegenseitig die Symbole zu ihren Geschichten zu zeigen. Welches Symbol spricht mich an, welches Symbol interessiert mich, mit wem möchte ich mich austauschen? Nach dieser Phase setzen sich jeweils 6 bis 7 Personen zusammen und erzählen sich gegenseitig ihre wertschätzenden und persönlich bedeutsamen Geschichten.

Der Übergang vom ersten Raum (Gemeinsam erforschen) zum zweiten Raum (Sich vergegenwärtigen) wird durch das Veröffentlichen der einzelnen Geschichten aus den Gruppen begleitet (siehe Abbildung »Der U-Prozess«). Für das Plenum wird dann aus jeder Gruppe jeweils eine persönlich bedeutsame Geschichte vorgelesen. Diese Phase erfordert sehr viel Sensibilität und eine Unterstützung seitens der Moderatoren. Aus jeder Gruppe meldeten sich Menschen, die ihre persönliche Geschichte erzählen wollten. Allerdings, erzählen die meisten Teilnehmer/innen zu Beginn nicht eine persönliche Geschichte, sondern sie reden über jemanden aus ihrer Geschichte. In dieser Phase unterstützt der Moderator die Teilnehmer/innen durch Fragen. Er fragt beispielsweise, was sie an dieser Situation so berührt hat, was sie gefühlsmäßig angesprochen hat, was für sie persönlich bedeutsam war.

2. Schritt: Seeing

Im zweiten Schritt geht es darum, die Wahrnehmung zu differenzieren, zu vertiefen und den Kern der sozialen Herausforderungen zu erkennen (Seeing). Das bedeutet für die Beteiligten, sich von ihren alltäglichen Denk- und Bewertungsmaßstäben zu lösen. Wichtig ist, diesen Prozess nicht mit einer klassischen Ist-Analyse über Daten und Zahlen zu starten. Vielmehr geht es darum, den Kern der sozialen Herausforderungen und die entsprechenden Fragestellungen ganzheitlich zu erfassen. Von großer Bedeutung ist in diesem Raum die Auseinandersetzung mit Menschen, die wirklich an Veränderung interessiert sind (Stakeholder) und mit Schlüsselpersonen (Key-Persons). Hier können beispielsweise Interviews durchgeführt werden, die nach spezifischen Dialogkriterien aufgebaut sind (vgl. Hinz/Garz 2005).

Gelingt es einer Gruppe nicht, die Wahrnehmung der gestellten Herausforderungen zu differenzieren, fällt sie wieder in die alten Muster des »Downloadings« zurück. Die Beteiligten haben sich zwar angestrengt, zeigen sich engagiert und haben in hohem Maße ihre Energie eingesetzt – aber es ist alles beim Alten geblieben oder die Lösungen werden dem Aufwand in keinster Weise gerecht.

3. Schritt: Sensing

Werden der Kern der Herausforderungen und die dazugehörenden Fragen deutlicher, sind die Beteiligten in der Lage, sich tiefer mit den Herausforderungen und den sich daraus ergebenden Anforderungen zu beschäftigen. Sie können sich nun in einer anderen Qualität mit den zukünftigen Aufgaben auseinandersetzen. Die Fragmentierungen, die an der Oberfläche noch deutlich wahrgenommen werden können, lösen sich langsam auf. Es werden unterschiedliche Perspektiven eingenommen – »Lernreisen« werden unternommen, Dialogveranstaltungen und Formen prozessorientierter Zukunftsmoderation werden durchgeführt. Die Beteiligten generieren gemeinsam ein kreatives Feld (vgl. Burow 2002, Burow &Hinz 2003), in dem die gemeinsame Basis der Beteiligten in den Mittelpunkt rückt. Bisherige Fragmentierungen lösen sich auf, alte Strategien können losgelassen, tiefere Quellen der Kreativität erschlossen, innovative Gestaltungskompetenzen entwickelt werden. Es entstehen neue gemeinsame Entwicklungsmöglichkeiten.

Seite 3: Der zweite Raum im U-Prozess

Die Zukunft und die inneren Quelle der Kreativität – Der zweite Raum im U-Prozess

4. Schritt: Presencing / Sich-Vergegenwärtigen

Wird der Prozess der Bewusstwerdung und des Loslassens erreicht, wird »das Nadelöhr« durchschritten. Es kommt zum Eintritt in den entscheidenden »Raum«, welcher den Zugriff auf die »inneren Quellen« der Kreativität ermöglicht (Presencing). Nun wird den Beteiligten deutlich, wo der Kern der Herausforderung liegt. Wesentliches kann von Unwesentlichem unterschieden und Gewohntes losgelassen werden. Der erste Schritt, der Neues und Unbekanntes ermöglicht, kann gewagt werden.

Im Rahmen des Beteiligungsprozesses stellen sich die Fragen »Wer sind wir?« und »Was ist unsere Aufgabe?« Hier beginnt mit dem Kontakt zur Quelle der Kreativität die Erkenntnis für ein tieferes Verständnis für den Veränderungsprozess.

Dieser Zustand ist für alle Beteiligten deutlich wahrnehmbar. In der Regel wird er durch »first person stories« eingeleitet. Diese persönlich bedeutsamen erzählten Wahrnehmungen, Erlebnisse und Begegnungen deuten darauf hin, dass der zweite Raum betreten wurde.

Dieser Schritt wird deshalb auch als Schritt durch das »Nadelöhr« bezeichnet. Hier entscheidet sich, ob gemeinsame Verantwortung und gemeinsame Vereinbarungen entstehen. An diesem Punkt erfindet sich das Team – oder die Organisation – neu. In diesen Momenten werden der Raum und der bestehende Kontext deutlich emotional aufgeladen, die beteiligten Personen befinden sich im »Hier und Jetzt«. Es entstehen klare und gemeinsam geteilte Absichten und Visionen. Die Konzentration auf das Wesentliche wird erreicht. Je öfter diese vertiefte Wahrnehmung geübt wird, je mehr eine Gruppe in diese Tiefe eintaucht und gemeinsam lernt, umso intensiver erleben sie das Phänomen des »Sich-Vergegenwärtigens« (Presencing).

Dies gelingt u. a. durch speziell darauf ausgerichtete Gruppenaktivitäten, Formen prozessorientierter Zukunftsmoderation, durch Bewegungsaktivitäten, Musik, Literatur oder Kunst oder auch durch Meditation.

Seite 4: Der dritte Raum im U-Prozess

Raum der Verwirklichung – Der dritte Raum im U-Prozess

5. Schritt: Crystallizing

Mit dem Übergang in den dritten Raum der »Verwirklichung« werden die Ausgangspunkte für den weiteren kreativen Prozess entwickelt. Die erweiterte Wahrnehmung des »Presencing« ermöglicht einen tieferen Umsetzungsprozess, der nicht geradlinig verläuft, sondern ein Wechselspiel zwischen Inspiration und Experimentieren ist. Beim »Crystallizing« werden die Absicht und die Vision konkretisiert und immer wieder im organisatorischen Kontext gespiegelt und diskutiert. Es handelt sich um einen iterativen Planungsprozess. Es geht darum, offen für Kritik und Anregungen zu sein und zugleich zu entscheiden, wie der Fokus gehalten werden kann.

6.Schritt: Prototyping

Auch beim nächsten Schritt, dem »Prototyping«, wird nicht gleich der »große Wurf« getätigt, sondern es wird ein lebendiger Mikrokosmos der Gesamtidee geschaffen. Ein Konzept wird bereits in einem frühen Stadium präsentiert, um von allen relevanten, an Veränderung interessierten Beteiligten und Schlüsselpersonen Feedback einzuholen. Dieses Feedback fließt in den Entwicklungsprozess zurück.

»Prototyping« spiegelt das bestmögliche Verständnis einer Situation oder eines Prozesses zum jeweiligen Zeitpunkt wider. Besonders in Umfeldern, wo Menschen unterschiedlicher Disziplinen eine gemeinsame Entscheidung treffen müssen, ist es für gute Kommunikation wichtig, zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen.

Prototyping unterscheidet sich von normalem Austesten, weil der Prozess offener und explorativer ist. Zu Beginn wird keine fertige Spezifikation erstellt, sondern sie entsteht im Laufe des Entwicklungsprozesses. Man muss sich hier von der eigenen Haltung lösen, es gleich beim ersten Mal richtig machen zu müssen. Auch die Annahme, man müsse genau wissen, wie man etwas macht, bevor man anfängt, es zu tun, wird beim »Prototyping« außer Kraft gesetzt.

7. Schritt: Realizing

Erst wenn der »Prototyp« optimiert ist, geht es an die vollständige Umsetzung (Realizing). Der tiefe Prozess, der bis dahin durchlaufen worden ist, verändert auch die Umsetzung und ermöglicht wirkliche Transformation. Es geht darum, dass sich die bisherigen Erfahrungen in den Ergebnissen ebenso widerspiegeln wie in den dazugehörigen Strukturen und Prozessen.