Methodenbeschreibung

Seite 1: Methode

Planning for Real ist ein Verfahren, in dem Menschen gemeinsam überlegen, was in einem bestimmten Ausschnitt ihres Lebensraumes verändert werden sollte und was sie dazu beitragen können. Im Mittelpunkt steht dabei zunächst ein von den Bewohner/innen selbst gebautes Modell. Es visualisiert das Gebiet, das verändert werden soll. Das Modell wird an verschiedenen Orten gezeigt, Themen, Probleme und Möglichkeiten werden diskutiert. Darauf aufbauend entwickeln Bewohner/innen gemeinsam Veränderungsstrategien und legen fest, wer sich dabei – wie und wann – einbringen kann und wer darüber hinaus noch einbezogen werden muss.

Planen und Handeln für ein verbessertes Lebensumfeld

Planning for Real ist die Arbeit an einem Modell, richtig? Nein, nicht ganz! Planning for Real ist ein gemeinwesenorientiertes und mobilisierendes Planungsverfahren, das auf der Arbeit mit einem Modell basiert (http://www.planningforreal.org.uk). Mittlerweile hat sich der engl. Begriff etabliert. Aber für diejenigen, die sich eine deutsche Erläuterung wünschen, könnte es auch heißen: »Aktiv für den Ort«, »Nehmen wir die Zukunft unseres Ortes in die eigenen Hände« oder »Planung von unten«.

Ursprünglich von Dr. Tony Gibson in England entwickelt, wurde das Verfahren schließlich unter der Schirmherrschaft der Neighbourhood Initiatives Foundation weltweit erprobt und weiterentwickelt. Mitarbeiterinnen des Technologie-Netzwerk Berlin e.V. übersetzten das engl. Material und passten das Verfahren auf Gegebenheiten in Deutschland an.

Zielsetzung der Methode

Mit dem Planungsverfahren Planning for Real wird die Zielsetzung verfolgt, die Teilhabe- und Einflussmöglichkeiten von Bewohner/innen bei der Entwicklung ihres Lebensumfeldes zu erweitern und zu fördern. Die Bewohner/innen werden als Expert/innen für ihren Ort anerkannt und dazu ermutigt, sich am Entwicklungsprozess zu beteiligen. Insbesondere wird durch Planning for Real bei den Bewohner/innen eine Atmosphäre gemeinsamen Handelns geschaffen und die Kommunikation gefördert. Der Austausch untereinander, mit Fachexpert/innen und örtlichen Interessengruppen wird unterstützt.

Seite 2: Ablauf

Ablauf

Ausgangspunkt für Planning for Real ist die Selbstorganisation der Bewohner/innen. Sie initiieren und begleiten den Entwicklungsprozess eines Gebietes. Das Verfahren gliedert sich in einzelne Schritte, die verschiedene Zugänge hinsichtlich Mitwirkung, Teil- und Einflussnahme und Kooperation eröffnen. Im Mittelpunkt steht, dass Bedingungen geschaffen werden, in denen gemeinsames Arbeiten möglich wird (working relationship). Auf diese Weise können sich verschiedene Beteiligte mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Kenntnissen einbringen.

1. Schritt: Es trifft sich eine Gruppe aus dem Ort/der Region

Initiiert wird das Verfahren in der Regel von einer Gruppe von Menschen (Initiativgruppe), die einen Veränderungsbedarf in ihrem Lebensumfeld sieht und diesen mit anderen gemeinsam bearbeiten möchte. Die Gruppe gibt ihr Vorhaben öffentlich bekannt und lädt andere Bewohner/innen ein, sich am Entwicklungsprozess zu beteiligen. Für die Einbeziehung vieler verschiedener Sichtweisen und Ideen zum Vorhaben ist es wichtig, Kontakte auch zu Einrichtungen, Organisationen und Gewerbetreibenden bereits im ersten Verfahrensschritt aufzunehmen.

2. Schritt: Die Menschen bauen ein Modell

Der Ort, das Gebäude oder der Platz, der im Mittelpunkt der Veränderung steht, wird als kleinformatiges 3D-Modell erstellt. Es ist kein Ausstellungsstück. Im Gegenteil: es ist ein dauerhaftes, gut handhabbares Arbeitsmittel. Damit das Modell einfach und flexibel transportiert werden kann, werden leichte Baumaterialien, wie Papier, Pappe und Styropor verwendet. Gebaut wird an Orten, wo sich die Bewohner/innen begegnen, z. B. in Einrichtungen, auf Spielplätzen, als Teil von Veranstaltungen.

3. Schritt: Das Modell wird im Stadtteil oder am Ort öffentlich präsentiert

Zielsetzung im dritten Arbeitsschritt ist es, mit Hilfe des Modells mit möglichst vielen am Ort lebenden und arbeitenden Menschen ins Gespräch zu kommen. Diese Phase ermöglicht einerseits gegebenenfalls notwendige Korrekturen an dem Modell. Andererseits werden die Informationen aus den Gesprächen für den Planungsprozess gesammelt und schriftlich fixiert. Gezeigt wird das Modell vor und in Einrichtungen, vor Geschäften, bei Festen, an Bushaltestellen oder U-Bahnstationen – eben dort, wo sich die Bewohner/innen aufhalten.

4. Schritt: Nachbarschaftshilfebögen – Wer kann was?

Parallel zur Arbeit mit dem Modell werden »Nachbarschaftshilfebögen« verteilt. Mit Hilfe dieser Bögen werden die Menschen befragt, welche Fähigkeiten und Interessen sie besitzen, und welche sie für die Entwicklung ihres Ortes zur Verfügung stellen wollen und können. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, den eigenen Bedarf an Hilfe zu formulieren. Die erfassten Nachbarschaftshilfebögen ermöglichen beispielsweise den Aufbau einer Tauschbörse oder einer (nachbarschaftlich) organisierten Datenbank hinsichtlich der vorhandenen Ressourcen.

5. Schritt: Die Ereignis-Veranstaltung

Im Mittelpunkt dieser Veranstaltung steht das Arbeiten am Modell unter Zuhilfenahme »non-verbaler« Mittel. Diese non-verbalen Hilfsmittel sind sogenannte »Vorschlagskarten«. Die Karten stellen Anregungen für Vorschläge zur Veränderung des Stadtteils oder des Ortes bildlich und schriftlich dar. Mit unterschiedlichen Farben sind auf ihnen verschiedene Bereiche gekennzeichnet, z. B. Verkehr, Grünanlagen, Gemeinschaftseinrichtungen, Gewerbe, Sport- und Freizeitaktivitäten, Kinder und Jugendliche. Diese Karten können von den Anwesenden auf das Modell gelegt werden, und zwar dort, wo eine spezifische Veränderung als wichtig erachtet wird. Es dürfen dabei nur die Vorschläge wieder entfernt oder verändert werden, die man selbst gelegt hat.

6. Schritt: Prioritätensetzung und Zeitplanung

Je nach Prozessverlauf erfolgt die Prioritätensetzung und Zeitplanung im Rahmen der Ereignisveranstaltung oder in darauffolgenden Treffen. Die Prioritätensetzung der Veränderungsvorschläge (Vorschlagskarten) wird anhand eines »Ideenkreises« durchgeführt. Der Ideenkreis umfasst mindestens fünf Kreise, auf denen die Bewohner/innen mit ihrem Namen die Vorschläge von außen nach innen in den letzten Kreis bewegen können. Vorschläge, die diesen Kreis erreichen, erlangen somit Priorität in der Umsetzung. Mit Hilfe einer zweidimensionalen Tafel und den Kategorien »Jetzt – Bald – Später« und »Entscheidungsleisten« werden anschließend die weiteren Schritte zeitlich geplant. Notwendig ist eine Vereinbarung darüber, welche Zeiträume »Jetzt«, »Bald«, »Später« umfassen. Neben der zeitlichen Einordnung der Vorschläge werden mit Hilfe der »Entscheidungsleisten« weitere Einschätzungen vorgenommen, z. B. benötigte Ressourcen und zu beteiligende Personen. Zielsetzung ist es, mit überschaubaren Aktivitäten zu beginnen.

7. Schritt: Themenbearbeitung in Arbeitsgruppen

Nach der Prioritätensetzung und der Zeitplanung werden konkrete Entwicklungsschritte eingeleitet, Handlungsansätze erarbeitet sowie Aktionspläne erstellt. Dabei ist es wichtig, nach einem festgelegten Plan zu arbeiten und Verantwortlichkeiten festzulegen. Die Arbeit der Arbeitsgruppen erfordert Transparenz, so dass weitere interessierte Menschen zu jeder Zeit an dem Prozess teilhaben können. Die Zwischenergebnisse werden in öffentlichen Veranstaltungen vorgestellt und diskutiert.

8. Schritt: Umsetzung von Aktionsplänen

In diesem Arbeitsschritt geht es darum, Aktivitäten kontinuierlich zu fördern und umzusetzen. Dabei sollte die Umsetzung der Aktivitäten vorstellbar sein und in übersichtlichen Arbeitsschritten dargestellt werden:

  • Was muss – wo – notwendigerweise getan werden?
  • Wann und wie kann es umgesetzt werden?
  • Wer macht was?

Ziel ist es, in einem kurzen Zeitraum sichtbare Ergebnisse zu schaffen und dabei mit dem Machbaren zu beginnen.

Seite 3: Umsetzung

Wichtige Aspekte bei der Umsetzung

Planning for Real ist die Umsetzung eines offenen gemeinwesenorientierten Entwicklungsprozesses.

Dabei basiert die Arbeit auf drei wesentlichen Prinzipien:

  • Verwendung visueller Hilfsmittel
  • Förderung von Beziehungen, die gemeinsames Handeln ermöglichen und
  • Gewährleistung von Anonymität.

Bewohner/innen als Expert/innen und Akteure für das Lebensumfeld

Bei dem mobilisierenden Verfahren Planning for Real kommt denjenigen Bewohnerinnen und Bewohnern, die die Initiativ-Rolle übernehmen, eine besondere Rolle zu. Dies sind Menschen, die im Englischen als sogenannte »moving spirits« bezeichnet werden (übersetzt: »treibende Kräfte« oder »bewegte Geister«). Es sind idealerweise keine Moderator/innen oder sogenannte Führungs- oder Schlüsselpersönlichkeiten. Vielmehr sind es Menschen, die gerne Kontakte zu anderen aufbauen und pflegen. Es sind Menschen, die ein Interesse an der Veränderung ihres Stadtteils oder ihres Ortes haben und dafür etwas unternehmen wollen.

Entwicklung eines Handlungsprozesses aus einer scheinbar unübersichtlichen Situation

Das bedeutet, dass Ideen gesammelt, Möglichkeiten einer Umsetzung erforscht und diese im Licht der gemeinsamen Erfahrungen überdacht werden, um in Form von Aktivitäten allmählich Gestalt anzunehmen. Das Verfahren beinhaltet deshalb mehrere unterschiedlich strukturierte Schritte. Im Verfahrensablauf ist darauf zu achten, dass jeder einzelne Schritt spezifische Handlungsmöglichkeiten bietet und diese aufeinander bezogen werden.

Das Modell als Blickfang und Gegenstand der Kommunikation

Die Beteiligten bauen das Modell auf einer realen Grundlage, dabei besteht nicht die Notwendigkeit einer exakten und vollständigen Nachbildung. Mit dem Modell wird der Blick auf den Gegenstand der Veränderung gerichtet, das Problemfeld ist nicht personifiziert. Das Besondere an dem Modell ist der Wiedererkennungseffekt. In dem Moment, in dem die Menschen nah an das Modell herantreten, beginnen sie nach Bekanntem zu suchen: hier ist meine Wohnung, dort habe ich zuletzt gearbeitet. Die Menschen äußern mit Hilfe des Modells ihre Meinung und diskutieren darüber, was sich verändern sollte. Sie können sich darüber hinaus mit Fachexpert/innen sachlicher über Probleme und Ideen austauschen und gezielt Fragen stellen.

Einfacher Zugang ermöglicht die Mitwirkung vieler Menschen mit ihren Ideen

Zu den verschiedenen Phasen des mobilisierenden Verfahrens können sich immer wieder weitere Menschen mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Kenntnissen einbringen. Sie können mit neuen Anregungen jede Phase auf ihre jeweiligen Fragen und Probleme hin ergänzen und erweitern. Sie können sich durch vielfältige Aktivitäten an dem Entwicklungsprozess beteiligen.

Die Vogelperspektive zeigt unbekannte Blickwinkel und Entwicklungsmöglichkeiten

Das 3D-Modell wird genutzt, um den Horizont zu erweitern und eine gemeinsame Arbeitsgrundlage zu ermöglichen. Die Menschen nehmen durch das Modell eine Vogelperspektive ein und damit einen Überblick über den Gegenstand und den Ort als Ganzes. Sie können auf diese Weise sowohl einzelne Teile des Gebietes näher betrachten als auch diese in eine Beziehung zum gesamten Gebiet in der Nachbarschaft setzen. Diese Form der Veranschaulichung fördert die Kommunikation.

Anonymität wird gewahrt

Wenn die Menschen Vorschlagskarten auf das Modell legen, sind sie in Bewegung und ihr Blick ist auf das Modell gerichtet. Sie können ihre Ideen einbringen, ohne dass sie die Aufmerksamkeit aller auf sich ziehen. In dem gemeinsamen Arbeiten, Hin- und Herüberlegen, Rund-um-das-Modell-Gehen, wissen die Anwesenden schon nach kurzer Zeit nicht mehr, wer welche Vorschläge gelegt hat. Dadurch können die Vorschläge anschließend sachlich miteinander betrachtet werden, ohne dass eine Personifizierung der Vorschläge geschieht. Auf diese Weise ermitteln die Bewohner/innen in relativ kurzer Zeit sehr viele gemeinsame Entwicklungsideen über den Ort.

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Anwendungsfelder

Das Verfahren Planning for Real kann in sehr unterschiedlichen Themenfeldern angewendet werden: u. a. Wohn- und Wohnumfeldverbesserungen, Nutzungsgestaltung von Gebäuden, bauliche und landschaftliche Gestaltung, Entwicklung von Stadtteilen und ländlichen Regionen oder Entwicklung von neuen Beschäftigungs- und Tätigkeitsfeldern.

Stärken

  • Aktivierung von Menschen, die sich durch klassische Beteiligungsformen nicht angesprochen fühlen
  • Bürger/innen entdecken eigene, bisher ungenutzte Fähigkeiten
  • Unterstützung und Förderung von Kooperation und Zusammenarbeit
  • Förderung von Sprach- und Methodenkompetenzen, Eigeninitiative und Selbstorganisation
  • Integration unterschiedlicher Beteiligungsformen
  • (kurzfristige) Entwicklung von Projekten
  • Analyse der lokalen Defizite und Ressourcen

Grenzen

  • Für kurzfristige sozialräumliche statistische Analysen ist die Methode nicht geeignet.
  • Der Übergang von der Mobilisierung in eine reale Umsetzung von Projekten geschieht nicht zwangsläufig.
  • Es müssen die notwendigen sozialen Kompetenzen in der Initiativgruppe gegeben sein (wie beispielsweise Kooperationsbereitschaft, Offenheit, Vertrauensbildung).

Es spielt keine Rolle, ob das Verfahren von kleinen oder großen Gruppen begonnen wird. Entscheidend ist die Aktivierung und Mobilisierung der Menschen vor Ort. Neue Formen der Zusammenarbeit verbinden sich mit dem Ziel, Handlungsgrundlagen für die Orts- und Regionalentwicklung sowie die Entwicklung von neuen Geschäfts- und Beschäftigungsfeldern zu schaffen.