Methodenbeschreibung

Seite 1: Zielsetzung

Fonds und Budgets stellen Zielgruppen (Bewohnerinnen und Bewohner eines Stadtteils, der Schülerschaft einer Schule, den Mieterinnen und Mietern einer Wohnungsbaugesellschaft, Kindern und Jugendlichen eines Quartiers) finanzielle Mittel zur Verfügung, mit denen sie eigene, selbstbestimmte Projekte und Vorhaben für einen vorgegebenen Zweck entwickeln und verwirklichen können. Solche Fonds und Budgets werden zunehmend von der öffentlichen Hand (Parlamenten, Ministerien), von Stiftungen und anderen Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen eingerichtet, um in bestimmten gesellschaftlichen Problemfeldern innovative Ideen und Eigenaktivitäten von Engagierten und Betroffenen zu fördern.

Ihre besondere demokratische Qualität besteht zum einen darin, dass sie Gestaltungsräume für eigene Prioritäten und selbstbestimmte Projekte schaffen. Zum anderen bieten sie ein demokratisches Lernfeld, wenn über die Auswahl der Vorhaben nach öffentlichen Debatten in demokratischen Verfahren in möglichst repräsentativen Gremien oder in direkten Abstimmungen entschieden wird.

Im Spektrum zwischen dialogorientierten und direktdemokratischen Beteiligungsverfahren sind Fonds und Budgets eher am direktdemokratischen Pol angesiedelt, denn es geht nicht nur um die konsultative Artikulation von mehr oder weniger unverbindlichen Ideen und Vorschlägen, sondern um direkte Entscheidungen über Projekte und Haushaltsmittel für deren zeitnahe Umsetzung.

Die Beteiligten sind dabei nicht nur – wie z.B. bei Bürgerentscheiden – als Entscheider/innen und Auftraggeber/innen gefragt, sondern kommen auch als Koproduzenten ins Spiel, die für ihre Vorhaben eigene Ressourcen (Ideen, Engagement, Eigenarbeit) einbringen und sich für ihre Vorschläge im Umsetzungsprozess selbst engagieren.

Auf den üblichen »Beteiligungsleitern« rangiert dieses Format auf den Stufen von Selbstbestimmung und Selbstorganisation. Gleichzeitig trägt es dem Umstand Rechnung, dass die dazu notwendigen Mittel nicht von den Akteuren selbst aufgebracht, sondern von Dritten zur Verfügung gestellt werden, und die Umsetzung der Vorhaben von einem demokratischen Auswahlprozess abhängig gemacht wird.

Als Beteiligungsformat sind Fonds und Budgets zwischen Bürgerhaushalten und Projektförderung angesiedelt. Von Bürgerhaushalten unterscheidet sie, dass sich ihr Beteiligungsangebot nicht auf den gesamten Haushalt oder wesentliche Teile bezieht, sondern nur für einen finanziell begrenzten und zweckbestimmten Ausschnitt gilt, wobei die Mittel aus unterschiedlichen Quellen kommen können (vgl. Nanz/Fritsche 2012, S. 48).

Über die Projektförderung gehen Fonds und Budgets hinaus, wenn ihr Zuschnitt größere Gestaltungsspielräume enthält, als sie üblicherweise durch Förderbedingungen festgelegt werden, und die Nutzerinnen und Nutzer des Fonds oder Budgets selbst in Entscheidungen über die Vergabe der Mittel einbezogen werden.

Zielsetzungen

Fonds und Budgets sind ein bislang bevorzugtes Mittel, um die Stimme und die Gestaltungsmöglichkeiten einflussarmer und ressourcenschwacher Bevölkerungsgruppen (Kinder, Jugendliche, Zugewanderte, arme und bildungsferne Menschen) zu stärken (Empowerment). Sie fördern das bürgerschaftliche Engagement, indem sie die notwendigen Projektmittel zur Verfügung stellen. Wenn es gelingt, auf diesem Wege beteiligungsferne Gruppen zu aktivieren, können Fonds und Budgets einen Beitrag zum Abbau von politischer Ungleichheit leisten.

Weil sie mit ihrer finanziellen Umsetzungsgarantie die Wirksamkeit von Beteiligungsprozessen glaubhaft in Aussicht stellen, sind sie besonders gut geeignet, das Vertrauen in Beteiligungsprozesse zu stärken. Indem Parlamente Teile des öffentlichen Haushalts der Gestaltung durch Betroffene und Engagierte überlassen, verzichten sie punktuell auf eigene Gestaltungsansprüche. Gleichzeitig delegieren sie die Verantwortung für die Bearbeitung gesellschaftlicher Problemlagen an eine Zielgruppe.

Von dieser gezielten Verantwortungsübergabe ist nicht nur eine gesteigerte Akzeptanz der dadurch ermöglichten Maßnahmen und Projekte in der Bevölkerung, sondern auch ein unmittelbarer Mehrwert zu erwarten (freiwilliges Engagement, Koproduktion), der sich durch eine ausschließlich öffentliche Aufgabenerfüllung ohne Bürgerbeteiligung in der Regel nicht einstellen würde.

Mit ihrer Kombination von Ideensammlung, Projektentwicklung, Abstimmung und Umsetzung machen Fonds und Budgets zudem einen effektiven Gebrauch vom »Wissen der Vielen«. Gleichzeitig sind sie dazu angetan, auf individueller Ebene das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit im Sinne einer »aktiven Bürgerschaft« zu stärken und Kooperationen von Gleichbetroffenen anzuregen.

Besonders in Großbritannien, Kanada und Frankreich gibt es im Kontext der Bürgerhaushaltsdebatte zahlreiche Experimente mit Budgets und Fonds für benachteiligte Quartiere, für Schulen oder einzelne Politikfelder. Ähnliche Ansätze gibt es in allen Teilen der Welt.

Auch in der Bundesrepublik finden wir Beispiele von direkter Bürgerbeteiligung durch Fonds und Budgets. Die längste Tradition haben sie im Bund/Länder-Programm »Soziale Stadt«. Die nach holländischem Vorbild eingerichteten Quartiersfonds (»Kiezfonds«, »Aktionsfonds«, »StadtteilAktivKasse«, »Stadtteilbudget«) spielen zwar im Gesamtprogramm keine prägende Rolle, denn sie machen nur einen kleinen Anteil an den nicht-investiven Mittel (in der Regel einige Tausend Euro jährlich pro Fördergebiet) aus. Aber sie bieten besondere Gelegenheiten zu demokratischer Beteiligung, die in der Regel durch Quartiersmanagement und Quartiersbeiräte flankiert werden.

Literaturtipp

Zu Fonds und Budgets im Bund/Länder-Programm »Soziale Stadt« (vgl. DIFU 2011 BMVBS 2013);
zu den vergleichsweise gut untersuchten Berliner Ansätzen (vgl. Senats­verwaltung 2012, S. 104 ff., Fritsche 2011 & 2014, Hanhörster/Reimann 2007, Schröder 2010, Nowak 2013);
zu den überregional stark beachteten Bremer Beispielen (vgl. Barloschky/Schreier 2005, Barloschky 2008 und Fritsche 2011).

Als weiterer Schwerpunkt hat sich die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen herausgebildet. Fonds und Budgets für junge Menschen gibt es nicht nur in Bürgerhaushaltsverfahren (Olk et al. 2010), in der offenen Jugendarbeit (Blanck 2014) oder in der Stadtentwicklungspolitik (BMVBS 2012), sondern auch von Stiftungen (Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mitarbeit), Nichtregierungsorganisationen (Youth Banks) und Unternehmen (Deutsche Telekom, Telefonica) .

Wachsende Bedeutung kommt Fonds und Budgets auch in der Migrations- und Integrationspolitik zu (vgl. Robert Bosch Stiftung/Stiftung Mitarbeit: Werkstatt Vielfalt und Beispiele aus Sachsen-Anhalt). Das 2008 entwickelte Modell der Kulturstiftung des Bundes macht deutlich, dass Fonds eine staatliche Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure ermöglichen, die auf bevormundende Eingriffe verzichtet und deren Fähigkeit zur Selbstorganisation stärkt.

Seite 2: Ablauf und Umsetzung

Ablauf und Umsetzung

Ob Fonds und Budgets die erhofften Wirkungen erzielen, hängt wesentlich von der Prozessgestaltung ab (vgl. die Auswertung von US-Erfahrungen von Lerner 2014):

  • Die zur Verfügung stehende Geldsumme muss groß genug sein, um nennenswerte Effekte erzielen zu können und den beteiligten Gruppen eine angemessene Berücksichtigung ihrer Interessen in Aussicht zu stellen.
  • Es braucht von Anbeginn ein professionelles Projektmanagement, das – on- und offline – für die nötige lokale Öffentlichkeit sorgt, vielfältige Anspruchsgruppen zusammenbringt, die Verbindung zur Verwaltung oder zu den NGOs und Unternehmen garantiert, die Rollen aller Beteiligten im Blick behält und den gesamten Prozess möglichst neutral im Sinne verabredeter Spielregeln moderiert. Der Prozess kann zusätzlich durch bürgerschaftliches Engagement (z.B. durch Beteiligungslots/innen) unterstützt werden.
  • Bereits die möglichst breite Ideensammlung (nicht zuletzt mit Hilfe von aufsuchenden Verfahren) entscheidet darüber, ob sich die gesamte Zielgruppe – vor allem auch beteiligungsferne Milieus – angesprochen fühlt und einbringt.
  • Die Verdichtung der vorgebrachten Ideen zu entscheidbaren Projektvorschlägen stellt einen weiteren kritischen Punkt dar. Sind die Vorschläge mit den gegebenen Mitteln nicht umsetzbar, sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Bringt eine Teilgruppe z.B. zu viele Vorschläge ein, läuft sie Gefahr, dass sie keinen davon in der Abstimmung durchsetzen kann.
  • Ein möglichst inklusives Abstimmungsverfahren entscheidet darüber, ob das erhoffte Empowerment gelingt. Eine Variante ist das Einsammeln der Stimmzettel von Tür-zu-Tür; eine weniger aufwendige, aber durchaus wirksame Vorkehrung besteht darin, möglichst viele Abstimmungsorte in den Lebenswelten der Zielgruppen einzurichten.
  • Abstimmungen über Vorschläge sind in der Regel mit Kontroversen und Konflikten verbunden (am Beispiel der Schülerhaushalte vgl. Roth 2013). Es kommt darauf an, solche Debatten zuzulassen, sie zu moderieren und Ergebnisse zu erzielen, die den verschiedenen Anspruchsgruppen gerecht werden.
  • Wird die Mittelvergabe durch gewählte oder berufene Auswahlgremien entschieden, kommt es auf deren repräsentative Qualität und Legitimation an. Dabei spielt sowohl die möglichst alle beteiligten Gruppen berücksichtigende Besetzung der Vergabegremien eine Rolle, wie auch deren Anstrengungen, niedrigschwellige Partizipationsgelegenheiten im Auswahlverfahren zu schaffen.
  • Ein weiterer Stolperstein ist die möglichst zügige Umsetzung der ausgewählten Vorschläge, die in der Regel nur durch enge Kontakte mit auf Ermöglichung gestimmten (lokalen) Fachverwaltungen gewährleistet werden kann.
  • Anerkennung, öffentliche Wertschätzung der vorgebrachten Ideen und das Gehörtwerden in repräsentativen Gremien zählen zu weiteren wichtigen Erfolgskriterien.
  • Zu den Gelingensbedingungen gehört eine lokale Beteiligungskultur (z.B. Quartiersräte, Bürgerjurys, Quartiersmanagement, eine partizipative Schulkultur). Sie bietet einen unterstützenden Rahmen, erleichtert die Umsetzung und sorgt für die nötige Akzeptanz.
  • Letztlich ist ein Maximum an Transparenz während des gesamten Beteiligungsprozesses erforderlich, um den Entscheidungsprozess fair und nachvollziehbar zu gestalten, aber auch um Mitnahmeeffekte auszuschließen. Dazu braucht es öffentliche Foren, die den gesamten Prozess nachvollziehbar machen. Hierbei können internetbasierte Formate eine wichtige Rolle spielen, aber direkte Begegnungen und Debatten nicht ersetzen.

Diese Liste organisatorischer Anforderungen macht deutlich, dass Fonds und Budgets jenseits der ausgelobten Summen ein anspruchsvolles Beteiligungsinstrument darstellen, dessen Nutzen durchaus voraussetzungsvoll ist und Standardisierungen inklusive Qualitätssicherungen nahe legt.

Seite 3: Stärken und Grenzen

Stärken, Grenzen und sinnvolle Anwendungsfelder

Vor diesem Hintergrund werden auch einige Fallstricke der Fonds- und Budgetbeteiligung deutlich. Dies fängt bei dem zur Verfügung stehenden Geldbetrag an. Er muss so hoch sein, dass er Wertschätzung signalisiert und damit etwas für die Beteiligten Bedeutsames und für die Problemlagen Angemessenes verwirklicht werden kann (Grell 2011). Wird die Summe als »Spielgeld« wahrgenommen, kann nicht mit positiven Beteiligungseffekten gerechnet werden. Sind die Beträge dagegen sehr hoch, wächst die Gefahr der Bevormundung und »Klientelisierung« (elite-capturing), weil sich machtvolle Gruppen einmischen.

Je weniger die Beteiligungsprozesse den Lebensbedingungen der benachteiligten Bevölkerungsgruppen angepasst sind, desto eher kann es auch bei diesem Format zu »creaming«-Prozessen kommen, indem sich lediglich die »üblichen Verdächtigen« bedienen. Entsteht der Eindruck, es verschaffe sich eine bestimmte Teilgruppe Vorteile auf Kosten der anderen, schwindet die demokratische Inklusionskraft von fondsgestützter Beteiligung sehr schnell.

Fehlt es an öffentlicher Wertschätzung und der Bereitschaft der Auftraggeber, sich mit den Resultaten auseinandersetzen, bleibt es bei singulären Beteiligungsepisoden, die schließlich als Symbolpolitik abgehakt werden. Ist die Kluft zwischen den Veränderungsvorschlägen und den umgesetzten Projekten zu groß oder bleiben vorzeigbare und zurechenbare Erfolge ganz aus, werden weitere Budgetrunden abgewertet und verlieren an Attraktivität.

Tipp

Fonds und Budgets sind kein Format, das die Regelfinanzierung öffentlicher Leistungen und rechtliche Garantien ersetzen oder kompensieren kann, wie dies in Großbritannien u.a. mit den Community Budgets in den letzten Jahren vorangetrieben wurde.

Es mag zwar gelingen, auf diesem Wege mehr Selbsttätigkeit auszulösen, aber die verschärfte Konkurrenz um knappe Mittel dürfte weder zur Vertiefung von Demokratie oder zu mehr politischer Gleichheit noch zur Stärkung des sozialen Kapitals beitragen. Eine entwickelte Beteiligungskultur vorausgesetzt, können Beteiligungsfonds die Prioritäten lokaler Haushalte, die Ausgestaltung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen sowie die Infrastrukturangebote im Sinne der lokalen Bevölkerung und zentraler Nutzergruppen positiv beeinflussen. Erfolgsmaßstab ist letztlich die verbesserte demokratische Gestaltung des Gemeinwesens. Fonds und Budgets können dafür Ideen und Impulse bieten.