Praxisbeispiel landesweiter Bürgerrat

Wie gelingt gute Nachbarschaft?

Jedes Jahr wird im Vorarlberger Landtag eine Enquete abgehalten. Das jeweilige Thema wird alternierend von den im Landtag vertretenen politischen Fraktionen vorgeschlagen. 2012 wählte die Landtagsfraktion der SPÖ das Thema »Quartiersmanagement – auf gute Nachbarschaft«.

Schon 2011 war das Büro für Zukunftsfragen erstmalig eingeladen, im Vorfeld der Landtagsenquete einen vorarlbergweiten Bürgerrat zu organisieren, dessen Ergebnisse bei der Enquete durch die Teilnehmer/innen selbst präsentiert wurden. Die Erfahrung, neben den Fachreferenten auch »Alltagsexpert/innen« zu Wort kommen zu lassen, war sehr positiv. Und so beschloss die Landtagskanzlei, auch die diesjährige Landtagsenquete durch einen Bürgerrat zu ergänzen, um den direkten Austausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Politik zu fördern.

Zukunftsfähige Gemeinde- und Stadtentwicklung

Die Planung und Gestaltung von Wohn- und Siedlungsräumen ist nicht nur eine architektonische Herausforderung, sondern vor allem eine soziale. Je unterschiedlicher die Menschen und ihre Ansprüche in einer Gemeinde oder in einem Wohnviertel sind, umso zentraler wird das Thema »Gute Nachbarschaft«. Genau diesem Thema widmete sich die Landtagsenquete: Wie gelingt gute Nachbarschaft? Und: Wie müssen wir unsere Wohn- und Siedlungsräume gestalten, damit nicht nur der Bedarf an Wohnfläche gedeckt ist, sondern auch ein gutes Zusammenleben aller Beteiligten möglich ist? Die zunehmende gesellschaftliche Diversität ist unter diesem Aspekt nicht nur Herausforderung, sondern bietet auch Potenziale für eine zukunftsfähige Gemeinde- und Stadt­entwicklung. In diesem Kontext wurde im Auftrag des Vorarlberger Landtags und der Vorarlberger Landesregierung ein landesweiter Bürgerrat durchgeführt.

Wer wurde wie beteiligt?

Die Teilnehmer/innen des landesweiten Bürgerrats wurden nach dem Zufallsprinzip aus dem Vorarlberger Melderegister ausgewählt. Insgesamt wurden 600 Personen eingeladen, von rund 100 Personen gingen Rückmeldungen ein, 80 davon entschuldigten sich, vorwiegend aus Zeitgründen, Aufenthaltsort (Studium) oder mangels Interesse. Schlussendlich waren es elf Personen, die sich im Rahmen des Bürgerrats am 9. und 10. November 2012 im Dornbirner vai (Vorarlberger Architekturinstitut) mit der Frage »Wie gelingt gute Nachbarschaft?« beschäftigten.

Was wurde erreicht?

Im Bürgerrat

Ein wesentlicher Grundsatz für gute Nachbarschaft für die Teilnehmenden am Bürgerrat ist die eigene Haltung und die Kommunikation mit den Nachbarn: Respektvoller Umgang, gegenseitige Toleranz, Vertrauen, Unterstützung und einfach auch die Gesprächsbereitschaft.

Daraus leiteten die Teilnehmer/innen ab, dass ein Miteinander durch den gemeinsamen Austausch und die Kommunikation über Bedürfnisse und Interessen entsteht. Erst wenn ausreichend Klarheit besteht, was allen Beteiligten wichtig ist, entsteht Verständnis füreinander und auch Verantwortungsbewusstsein und Bereitschaft, das eigene Lebensumfeld im Sinne einer guten Nachbarschaft mitzugestalten.

Dieser Zusammenhang führte im Bürgerrat dazu, den Ansatz der »Nachbarschaftsdemokratie« zu entwickeln, was so viel heißt wie die Intention, selbst die eigene Nachbarschaft gestalten zu wollen. »Durch Deregulierung kommt die Verantwortung wieder«, bringt es ein Teilnehmer im Zuge des Bürgerrats auf den Punkt. Damit das gut gelingen kann, braucht es Begegnungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen, die die Nachbarschaft handlungsfähig machen.

Tipp

Der Bürgerrat formulierte als wesentliche Kriterien dafür: räumlich definierte Nachbarschaften, neutrale Vermittlungsinstanzen (Schlichtungsstellen), transparente Strukturen und klar abgesteckte Kompetenzbereiche.

Im Landtag

Die Ergebnisse des vierten landesweiten Bürgerrats wurden am 16. November 2012 im Rahmen einer Landtagsenquete der Öffentlichkeit präsentiert. Die Veranstaltung stand unter dem Titel »Quartiersmanagement – Wie kann gute Nachbarschaft gelingen?«.

Neben den Ergebnissen des Bürgerrats war auch ein Input von Maren Schreier, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachhochschule St. Gallen im Bereich Soziale Arbeit, sowie von Martin Assmann, Projektleiter von Vision Rheintal, Teil der Veranstaltung. Im Anschluss wurden die Ergebnisse im World-Café-Setting vertieft und weiterentwickelt.

Auf Initiative des Landesstatthalters Rüdisser wurde beim Institut für Sozialdienste (IFS) ein Konzept in Auftrag gegeben, das sich mit den inhaltlichen und strukturellen Herausforderungen für die Siedlungsarbeit in Vorarlberg beschäftigt. Die Ergebnisse des Bürgerrats und der Landtagsenquete wurden in dieses Konzept eingearbeitet. Zudem ist seitens des Büros für Zukunftsfragen und des IFS die Entwicklung eines Siedlungsrates in Planung, das heißt die Anwendung von Bürgerräten auf konkrete Siedlungsräume.