Praxisbeispiel Das Bewohner/innen-Zentrum Ruthnergasse

Alle sind aktiv!

Neun Teams der Service-Einrichtung wohnpartner – Gemeinsam für eine gute Nachbarschaft sind von der Stadt Wien mit Konflikt- und Gemeinwesenarbeit betraut. Ihre Aufgabe ist, Menschen zur Verbesserung des eigenen Wohn- und Lebensumfelds anzuregen, die Gemeinschaft zu stärken und Projekte zur Erhöhung der Wohnzufriedenheit zu initiieren. Bewohner/innen-Zentren – sechs gibt es in Wien mit wohnpartner als rechtlichem Träger – erfüllen in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion: Sie sind Orte der Begegnung, des Austauschs und des Dialogs im Stadtviertel.

Ein Raum für alle im Stadtteil

Das wohnpartner-Team 21 begleitet den Prozess, koordiniert Strukturen und Abläufe und befähigt Bewohner/innen zur Nutzung des Bewohner/innen-Zentrums Ruthnergasse.

Tipp

Aktivierung wird als Methode und Grundhaltung praktiziert: »Was würden Sie hier gerne tun?« ist Begleitfrage vor Ort, im Stadtteil, bei Aktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit mit Bewohner/innen.

Entstanden ist die Idee zu einem Zentrum für Bewohner/innen in der Ruthnergasse aus einem 400 m² großen leerstehenden Lokal und der Vision des im Zuge laufender Gemeinwesenarbeit gegründeten Mieterbeirates. Das Einzugsgebiet des Lokals ist ein Stadtteil am Rand Floridsdorfs, dem 21. Wiener Gemeindebezirk, gewachsen aus Gemeindebauten aller Generationen mit großzügigen Freiflächen. Für 3.700 Haushalte sind kaum Freizeitangebote oder Gemeinschaftsräume vorhanden. Die Bewohnerstruktur ist divers, sie ist bestimmt durch Generationenwandel, viele ältere Alleinlebende, junge Großfamilien – oft mit Migrationshintergrund – und vereinzelt durch soziale Schicksale mit sichtbaren Auswirkungen und Stiegengemeinschaften mit Zusammenhalt.

2011 wurde ein ergebnisoffener Gemeinwesenarbeit-Prozess mit der Grundannahme konzipiert, dass alle Bewohner/innen aktiv sind: Wertschätzung aller Interessen und Fähigkeiten, ob fernsehen, mit den Nachbar/innen streiten oder Spazierengehen (vgl.: Hinte 2001,113–115).

Tipp

Das Ziel ist, allen Bewohner/innen die Nutzung des Zentrums zu ermöglichen und damit das Zusammenleben zu verbessern und die lokale Identität zu stärken. Selbständig, selbstbestimmt und in Eigenverantwortung sollen die verschiedenen Gruppen die Räume nutzen können.

Prozessverlauf: Kommen, Schauen, Mitmachen!

Nach der Vorerhebung, der Gemeinwesenbeobachtung und der Multiplikator/innen-Befragung im Stadtteil wurde ein Beirat aus Vertreter/innen von Initiativen, Mieterbeiräten und Institutionen gegründet. Dieser begleitet seither als beratendes und mitentscheidendes Gremium die Entwicklung des Zentrums.

Bei einer dreiwöchigen aktivierenden Tür-zu-Tür-Befragung im Gemeindebau Ruthnergasse (550 Wohneinheiten) und bei einem Infopunkt vor dem Lokal wurden 270 Gespräche geführt:

  • Welche Ideen hätten Sie, was man in dem Raum tun könnte?
  • Was würden Sie selbst in dem Raum tun?
  • Was würden Sie dazu brauchen?

Die Ergebnisse wurden bei einer »Gemeindebaukonferenz« präsentiert, vier Arbeitskreise gebildet. Erste Projekte konnten 2012 umgesetzt werden. Nach dem Umbau des Lokals wurden Schlüssel an Beiratsmitglieder und Initiativen vergeben. Eröffnet wurde das Bewohner/innen-Zentrum im Jänner 2013 mit einem im Beirat gemeinsam geplanten Fest. Laufend kamen weitere Initiativen und erste Einzelnutzer/innen – für Kindergeburtstage und andere Feiern – hinzu.

Eine begünstigende Rolle spielt die Lage des Lokals mit großer Fensterfront in einer belebten Ladenzeile. Kreative Auslagen- und Flyergestaltung, der Aushang regelmäßig stattfindender Aktivitäten und Bänke im Eingangsbereich laden jene, die sich (noch) nicht hineinwagen, zum Verweilen ein.

Lebendige und vielfältige Nachbarschaft JEDLEO

2015 gibt es zwölf Initiativen und drei Bewohner/innenvereine mit einem Kern von 50 aktiv mitgestaltenden und weit mehr als 150 beteiligten Akteur/innen und zahlreiche Einzelnutzer/innen. Kooperationen mit verschiedenen Institutionen – vom Verein Wiener Jugendzentren über die Wiener Gesundheitsförderung, der Magistratsabteilung 17 (Integration und Diversität) und dem Bezirksmuseum bis hin zu FEM – Gesundheitszentrum für Frauen, Eltern und Mädchen – fördern die Vernetzung und die Selbstorganisation bei der Durchführung von gemeinsamen Projekten.

Die Aktivitäten der Initiativen und Vereine sind so divers wie die Bewohner/innen selbst: Kochen, Flohmärkte, Frauentreff, Computer-Café, Vorträge, Musikabende, Indoor-Boccia, Line-Dance, RC-Drift, Lernbegleitung für Kinder, Bücherkiste, Workshops, TaiJi, Presse-Café, Meditation, Qi-Gong, Schnapsen-Turniere, Tischtennis, Nordic Walking, Kindergeburtstage und Feste aller Art.

Die meisten Aktionen in den Räumlichkeiten führen die Bewohner/innen selbstständig durch, die Mitarbeiter/innen von wohnpartner aktivieren und ermutigen neue Gruppen. Sie unterstützen sie bei der Umsetzung eigener Ideen und begleiten sie in die autonome Nutzung des Zentrums. Der neben einer offenen Sprechstunde (»Montags-Info rund ums BWZ«) einzige von wohnpartner gestaltete Fixtermin ist das »Mittwochs-Café«: Bei Kaffee und Kuchen können Interessierte das Zentrum und Nachbar/innen kennenlernen. Es bilden sich Gruppen, die Umsetzung von Ideen wird diskutiert, hier ist der Ort für Tratsch, Spiele und gemeinsame Aktionen wie Grillen und Sommergespräche.

Seit 2014 wird mit JEDLEO ein weiteres, aus dem Bewohner/innen-Zentrum hinausreichendes Projekt umgesetzt – eine zweimal jährlich erscheinende Grätzelzeitung von Bewohner/innen zur Förderung eines wertschätzenden, positiven und respektvollen Miteinanders. Jedlersdorf und Leopoldau sind die Bezirksteile, die sich im (noch) namenlosen Stadtteil treffen. Das Engagement ist groß, viele Beiträge werden von Bewohner/innen geschrieben, Geschichte/n aus dem Stadtteil gesammelt, Diskussionen angeregt.

Literaturtipp

Hinte, Wolfgang (2001): Quartiersmanagement als kommunales Gestaltungsprinzip. Aktivierende Arbeit im Wohnviertel. Blätter der Wohlfahrtspflege, H. 5+6, 113–115