Praxisbeispiel Our Budget – Our Economy

Die Diskussion über die Sanierung des US Federal Budget war im Jahr 2010 von tiefen ideologischen Gräben geprägt. In diesem polarisierten politischen Umfeld organisierte »AmericaSpeaks« im Juni 2010 eine Reihe von 21th Century Town Meetings®, bei denen US-Bürger/innen darum rangen, sich auf gemeinsame Vorschläge zur Sanierung des Budgets zu einigen. Finanziert wurde der Prozess hauptsächlich von den Stiftungen MacArthur, Peter G. Peterson und W. K. Kellogg.

Ziele des Beteiligungsprozesses

Der Prozess sollte der Politik als Vorbild dienen und zeigen, dass die Bevölkerung willens und fähig ist – auch zu einem kontroversen Thema – einen sachlichen und wertschätzenden Dialog über Parteigrenzen und Ideologien hinweg zu führen. Die Anliegen der Bevölkerung sollten wieder ins Zentrum des – von parteipolitischen Konflikten geprägten – politischen Diskurses rücken. Letztlich sollte deutlich werden, in welchen Bereichen inhaltliche Kompromisse gefunden werden können, wenn der Dialog gut informiert und wertschätzend ist.

Das Beispiel zeigt, dass der Bevölkerung auch sehr kontroverse, komplexe und unpopuläre Themen zuzutrauen sind. Unter den zahlreichen partizipativen Budgets u.a. in Brasilien, Spanien, Frankreich und Deutschland wurden bisher nur wenige unter den Vorzeichen rigider Sparmaßnahmen durchgeführt.

Tausende von Menschen im konstruktiven Dialog

Am 26. Juni 2010 versammelten sich mehr als 3.500 Teilnehmer/innen an 349 Tischen in 19 parallel geführten 21th Century Town Meetings® an verschiedenen Orten in den USA. Gleichzeitig veranstalteten freiwillige Aktivist/innen 38 weitere sogenannte »Gemeinschafts-Dialog«-Treffen. Alle Treffen wurden per Videoschaltung verbunden und die Abstimmungen erfolgten ebenfalls gemeinsam.

Tagesablauf

WannWas
10.30Öffnen der Türen
11.30Lokale und nationale Willkommensworte
12.00Gegenseitiges Kennenlernen (Motivation/Hoffnungen für die Zukunft,
Zusammensetzung der Teilnehmer/innen)
12.45Info und Diskussion über Zusammenhänge von kurzfristigem Job-
wachstum, ökonomischer Erholung und den Herausforderungen einer
langfristigen Budgetkonsolidierung; Austausch der Teilnehmer/innen
darüber, welche Kernwerte die Diskussion leiten sollen.
14.00Erste Austauschrunde zu schwierigen Entscheidungen mit gemeinsamer Abstimmung
15.30Zweite Austauschrunde zu schwierigen Entscheidungen mit gemeinsamer Abstimmung
16.45Botschaft an Personen in der Politik/mit Führungsverantwortung und nächste Schritte
17.30Abschlussworte, Evaluierung
18.00Ende

Ergebnisse des Prozesses

Eine begleitende, umfassende Evaluierung eines Forscherteams der Universitäten Berkeley, Riverside und Harvard kam zu folgenden Ergebnissen:

 

  • Die Zusammensetzung der Teilnehmer/innen entsprach hinsichtlich demographischer Faktoren (Einkommen, Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Bildung, politische Orientierung) weitgehend dem Bevölkerungsdurchschnitt. Ausnahmen: unter den Teilnehmer/innen waren etwas mehr Afro-Amerikaner, weniger Latinos, mehr ältere Menschen und Menschen mit einem höheren Bildungsstand als im Bevölkerungsdurchschnitt.
  • Viele Teilnehmer/innen konnten sich bei konkreten und schwierigen Entscheidungen einigen. Es gelang 65 % der Tische, sich auf Maßnahmen zur Einsparung der angestrebten $ 1,2 Billionen zu einigen. Über 90 % einigten sich nach zweistündiger Diskussion der Optionen auf mehr als die Hälfe ($ 600 Milliarden).
  • Inhaltlich fand ein gemeinsamer Meinungsbildungsprozess statt. Viele Teilnehmer/innen überdachten und veränderten im Dialog mit Andersdenkenden ihre Meinung – mit teilweise bemerkenswerten Detailergebnissen. So wuchs unter den konservativen Teilnehmer/innen die Zustimmung zu Reichensteuern um fast 40 % und 50 % der sich als »neutral« einstufenden Menschen änderten ihre Meinung zugunsten von Einschnitten beim Militär. Umgekehrt wuchs unter fast einem Drittel der Liberalen die Bereitschaft, freiwillige Leistungen zu kürzen.

In welchem Ausmaß haben die Menschen an Ihrem Tisch ihre Meinung zu den Optionen verändert?

Sehr stark11 %
Etwas39 %
Wenig34 %
Gar nicht15 %
  • Die große Mehrheit der Teilnehmer/innen war mit der Diskussion zufrieden. 85 % fühlen sich besser über die Herausforderungen und Möglichkeiten, den Haushalt auszugleichen, informiert. 97 % waren der Ansicht, dass alle Teilnehmer/innen einander respektvoll zuhörten und 93 % hatten das Gefühl, dass die anderen ihre Ansichten hören und verstehen konnten.
Wie zufrieden sind Sie derzeit mit dem Ton und der Qualität der politischen Diskussion in unserem Land?    Wie zufrieden sind Sie mit dem Ton und der Qualität
der heutigen Diskussion?
Sehr zufrieden1 %62 %
Zufrieden3 %29 %
Neutral8 %6 %
Unzufrieden31 %2 %
Sehr unzufrieden58 %1 %
  • Die Diskussion motivierte die Teilnehmer/innen zur politischen Beteiligung über die Diskussion hinaus. Über 73 % der Teilnehmer/innen gaben an, dass sie höchstwahrscheinlich mit Politiker/innen Kontakt aufnehmen werden, um ihren Anliegen zusätzlich Gehör zu verschaffen.