Willkommensatmosphäre

Aktiv auf Migrantenfamilien zugehen ist nicht ausschließlich räumlich, sondern auch atmosphärisch zu verstehen. Und zwar im Sinn von »jemandem entgegengehen« und dadurch »Herzlich willkommen!« sagen. Zugehen meint in dieser Hinsicht das deutliche Signalisieren interkultureller Sensibilität und Offenheit, also das Schaffen einer Atmosphäre des Willkommenseins.

Dies erinnert an einen zentralen Merksatz aus der sozialraumorientierten Arbeit »Heimspiel statt Auswärtsspiel.« Er drückt aus, dass die Professionellen im Zugangs- und Arbeitssetting den Familien folgen, d.h., die Familien bestimmen, wo für sie der passende Ort ist, wie er gestaltet wird, wer dabei sein kann und was die Themen sind, bei denen sie unterstützt werden wollen. (vgl. HINTE / TREEß 2007; FRÜCHTEL u.a. 2001:19, TREEß 1999:32 ff.).

Ob Eltern die ausstrahlende Atmosphäre eines Projektes angenehm finden, ist im Bereich familienunterstützender Angebote oft entscheidend. Die Befragten zählen daher viele kleine, aber wohlüberlegte Bausteine auf, die dazu beitragen, Migrantenfamilien atmosphärisch anzusprechen. Das können beispielsweise Bilder im Wartebereich einer Arztpraxis sein, die Regionen zeigen, aus denen viele Patient(inn)en kommen. Oder es kann ein Wörterbuch auf dem Schreibtisch eines Sozialarbeiters sein, das nicht nur die Verständigung unterstützt, sondern auch Offenheit signalisiert und damit zum Zeichen der Wertschätzung wird. Ähnliche Effekte kann die Dekoration eines Schaufensters haben, das so gestaltet ist, dass sich auch Migrantenfamilien angesprochen fühlen.

Ein Familienberater mit Migrationshintergrund, der beim öffentlichen Träger beschäftigt ist, hat den Beratungsraum mit Bildern aus seinem Heimatdorf dekoriert, weil ihm bewusst ist, dass in diesem Stadtteil viele Migrantenfamilien aus ländlichen Gegenden stammen. Seiner Erfahrung nach finden sie so schneller Vertrauen und fühlen sich willkommen.

Mittels solcher Bausteine und entsprechender Offenheit können auch Mitarbeitende mit deutschem Hintergrund eine Atmosphäre des Willkommenseins schaffen. Denn wie eine Gesprächspartnerin türkischer Herkunft betont, ist es natürlich nicht möglich, dass die Professionellen alle möglichen Fremdsprachen beherrschen oder mit sämtlichen kulturellen Bezügen vertraut sind. Doch darauf kommt es aus ihrer Sicht auch gar nicht an, wenn es darum geht, eine einladende Atmosphäre zu schaffen. »Manchmal ist es ein Blick, ein ganz einfaches Wort, manchmal ein Händeschütteln. Es sind manchmal ganz simple Sachen, welche die Arbeit mit den Eltern erleichtern.« Ihrer Erfahrung nach ist ein aufmerksames Beobachten des anderen und seiner Verhaltensweisen oft ausreichend. So ist beispielsweise bei einem Hausbesuch sehr gut zu erkennen, ob bei einer Familie die Schuhe im Hausflur ausgezogen werden. »Und wenn man sich nicht sicher ist, kann man ja auch nachfragen.«

Diese kleinen Gesten der Aufmerksamkeit erleichtern aus ihrer Sicht den Zugang, da sie den Respekt vermitteln, den Migrantenfamilien oft vonseiten der Mehrheitsgesellschaft vermissen. Beispielsweise haben ihr viele Mütter, die ein Kopftuch tragen, berichtet, dass sie deshalb von Lehrer(inne)n komisch angeschaut werden. Sie haben den Eindruck, obwohl sie hier aufgewachsen sind und fließend deutsch sprechen, gar nicht als ernst zu nehmende Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Das resultiert in dem diffusen Gefühl, nicht willkommen zu sein.

Bleiben wir beim Thema Schule. Eine wichtige Gelegenheit für den Zugang zu Migrantenfamilien sind Elternabende. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass viele Eltern Bedenken haben, dem Geschehen nicht folgen zu können, weil sie nicht genug Deutsch können. Einer unserer Gesprächspartner betont: »Viele Eltern berichten nach einem Elternabend, dass sie nur zwei bis drei Prozent verstanden haben.«

Angesichts solcher frustrierenden Vorerfahrungen ist es wichtig, schon bei der Einladung zu einem Elternabend in der Schule oder Kita deutlich zu machen, wie man mit der sprachlichen Vielfalt umgehen wird. Wir gehen auf diesen Punkt weiter unten noch dezidiert ein, an dieser Stelle sei jedoch bereits erwähnt, dass schon allein die Tatsache, dass sich eine Schule oder Kita um eine passende Form des Umgangs mit eventuellen Verständigungsschwierigkeiten bemüht, eine Atmosphäre des Willkommenseins schaffen kann.

Eine Praktikerin beschreibt etwa den Effekt einer mehrsprachigen Einladung zum Elternabend folgendermaßen: »Es signalisiert Wertschätzung und Angenommen werden, wenn die Eltern in ihrer Muttersprache angesprochen werden. Auch wenn sie die deutsche Sprache relativ gut können, ist es dennoch eine gewisse Form von Wertschätzung und damit ein wichtiger Türöffner.«

Eine Kollegin mit Migrationshintergrund ergänzt: »Wenn die Eltern auf einer Einladung meinen türkischen Namen lesen und daneben auch noch einen arabischen oder einen polnischen Namen, lockt sie das natürlich auch. Wobei das nicht nur mit Sprachkompetenz zu tun hat oder damit, dass die Eltern nicht genug Deutsch könnten, sondern das öffnet einfach noch mal andere emotionale Zugänge. Die Eltern können sich leichter damit identifizieren.«

Das Akzeptieren von sprachlicher Vielfalt, der konstruktive Umgang mit möglichen Verständigungsschwierigkeiten, die Kooperation mit Professionellen mit Migrationshintergrund, deutliche Gesten der Aufmerksamkeit…, all diese Bausteine signalisieren, dass eine Institution interkulturell geöffnet ist und Migrantenfamilien dort willkommen sind. Am deutlichsten ist diese Wirkung, wenn zumindest ein Teil der Mitarbeiter/innen einen Migrationshintergrund hat. Diese Mitarbeiter/innen scheinen – wie mehrere Befragte feststellen konnten – bisweilen schon allein durch die Tatsache, dass sie aktiv eingebunden sind, eine regelrechte Magnetwirkung auszustrahlen.

Tipp

Atmosphärische Bausteine: Wandbilder aus verschiedenen Kulturen, ein Wörterbuch, ein Glas Tee mit Sesamgebäck, eigene Ideen: ...

Eine Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund beschreibt, wie sie von den Migrantenfamilien wahrgenommen wird: »Ich war für sie der Türöffner. Sie kannten mich, also ich war nicht eine Person, die von außen kommt, sondern ich war eine von hier, eine Frau aus dem Kiez. Man kennt mich, man vertraut mir. Ich arbeite hier, bin präsent, bin verheiratet, habe Kinder… das spielt alles eine Rolle. Auch wenn das nur so kleine Faktoren sind, spielt das trotzdem eine große Rolle. Deshalb öffnen sich diese Menschen bei mir. Ansonsten würden vielleicht nur drei Frauen kommen. Aber weil ich für sie der Türöffner zwischen den zwei Kulturen bin, kommen immer mehr.«

Kein Problem? – Kein Problem!

Abschließend wollen wir noch auf einen weiteren Punkt eingehen, der nicht nur vielen Migrantenfamilien, sondern auch vielen einheimischen Familien wichtig ist, um sich willkommen zu fühlen. Dabei geht es letztlich um die Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren. Das beginnt bereits mit dem Namen und der Beschreibung eines Angebotes. In vielen Fällen kann die Zugangsschwelle deutlich gesenkt werden, wenn ein Beratungsprojekt von außen nicht sofort als solches identifizierbar ist. Wer kennt das nicht: Man sucht Unterstützung und braucht Rat, will aber nicht unbedingt, dass das gleich die ganze Nachbarschaft mitbekommt. Und dann steht über der Eingangstür: Eintritt nur für schwierige Problemfälle!

Zugegeben, so zugespitzt ist es im Alltag nicht. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass es oft hilfreich ist, wenn ein niedrigschwelliger Beratungstreff nicht die Probleme, die dort bearbeitet werden können, in den Vordergrund der Außenpräsentation stellt, sondern eher die Geselligkeit, insbesondere auch die Angebote für Kinder.

Für viele Familien ist es nicht leicht, Fremde in die eigene Privatsphäre zu lassen, sowohl räumlich wie auch inhaltlich. Aus diesem Grunde gibt es in den untersuchten Projekten einige Beispiele sehr pragmatischen Vorgehens, die dieser oft anzutreffenden Ambivalenz zwischen »Rat suchen« und zugleich »nichts zeigen zu wollen« akzeptierend entgegentreten.

Wenn es beispielsweise um reine Informationen zu bestimmten Fragen geht, können Broschüren bzw. Informationsblätter ein hilfreicher erster Einstieg sein. Doch kaum greift man nach so einem Faltblatt, hat man das Gefühl, alle Welt schaut hin. Um dieses Gefühl abzumildern, hat man sich in einem Projekt entschlossen, den Ständer mit Broschüren zu Hilfsangeboten, Themenheften, Adressen, Wegweisern et cetera so in einer Ecke zu platzieren, »dass wir Mitarbeiterinnen nicht sehen, wer sich etwas nimmt. Vorher stand der Ständer woanders, und wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich viele nicht trauen, die Broschüren mitzunehmen. Jetzt ist das anders, und die Broschüren werden wirklich genutzt.« Für die Mitarbeiterinnen ein deutliches Zeichen, dass die Menschen Informationen wollen und suchen, auch wenn sie es vermeiden, dies direkt anzusprechen.

Ebenso »Gesicht wahrend« kann ein erster Beratungseinstieg funktionieren. Oft sprechen Ratsuchende über ihre Probleme, als würden sie nicht selbst Hilfe suchen, sondern nur mal für Nachbarn oder Bekannte anfragen. Eine Kollegin hierzu: »Über das Material, das wir den Kindern mitgeben, kommen auch die Eltern zu uns. Meist erst mal mit kleineren Fragen wie z.B. dass die Nachbarn Schwierigkeiten mit der Erziehung ihres Kindes haben. Oder sie sprechen ganz vorsichtig und generell über die allgemeine Erziehungslage von Kindern in Neukölln. Nicht über die eigenen Schwierigkeiten, sondern über die der anderen.«

Die Mitarbeiter/innen lassen sich dann auf diese Kommunikationsebene ein und versuchen, mögliche Unterstützungsangebote zu entwickeln bzw. erste  Hintergrundinformationen zu geben, um den Familien die Möglichkeit zu geben, ihr Gesicht zu wahren und dennoch Unterstützung zu erhalten. Priorität hat das Setting, das die Familie vorgibt. Heimspiel statt Auswärtsspiel!

Wichtig

Nicht nachbohren, sondern erst mal akzeptieren, dass es anscheinend ›nur‹ um die Nachbarn geht.