Wie lernt man Community Organizing?

Seite 1: Inhalte des Trainings

Community Organizing kann man nicht in Vorträgen oder Büchern lernen. Weltweit hat sich für das Erlernen der Begriff »Training« etabliert, denn CO ist nicht nur eine Methode oder ein Konzept. Es geht um das Lernen eines spezifischen Know-hows und das Einüben einer glaubwürdigen, reflektierten persönlichen Haltung im Organizing.

Die Trainings dauern – je nach »Anbieter« oder »Schule« zwischen 2 und 10 Tagen. Allen gemeinsam ist die Überzeugung, dass CO nur in der Kombination von theoretischer Auseinandersetzung und reflektierter Praxis gelernt werden kann. Ein »Mentoring« in der Praxis vor Ort sollte einem Training folgen, damit die eigenen Handlungsweisen überprüft und weiterentwickelt werden können. Für viele stellt ein Training manche Selbstverständlichkeiten des bisherigen eigenen beruflichen Handelns infrage. Darüber hinaus ist es sinnvoll, den Lernprozess in Netzwerken mit anderen CO-Projekten fortzusetzen. Denn dort kann über die Praxis reflektiert und weitere Trainings/Qualifizierungen können wahr genommen werden.

Wichtig

Es gibt deshalb an dieser Stelle nur eine grobe Übersicht über verbreitete Inhalte eines CO-Trainings, so wie es von verschiedenen »Schulen« angeboten wird. Diese Zusammenstellung soll die Neugier wecken, sich zu einem Training anzumelden. Wir zeigen stichwortartig auf, was dazu gehören kann und welche Fragen, entsprechend der vier Phasen eines Organizing Prozesses, in einem Training konkret bearbeitet und ausprobiert werden. Die Arbeitsweise in Trainings ist geprägt von einem Mix aus theoretischer Wissensvermittlung, Weitergabe von Erfahrungswissen, Selbstreflexion, Rollenspielen sowie Arbeit zu zweit oder in Arbeitsgruppen.

Zur Geschichte und zum Selbstverständnis von Community Organizing

  • Information und Beispiele aus der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung in den USA/Martin Luther King und Saul D. Alinsky. Anhand von gelungenen Beispielen des Handelns nach CO-Prinzipien in Deutschland, Europa und den USA lernt man die Geschichte des CO kennen.
  • Reflexion über die Werte, die CO prägen und an denen sich das Handeln orientiert, wie Demokratie, Soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Gewaltfreiheit und Respekt vor unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Lebensentwürfen.
  • Vom Selbstverständnis: Menschen zu aktivieren, damit nicht für sondern mit den Menschen Lösungen erarbeitet und kraftvoll umgesetzt werden können.

Auseinandersetzung mit dem Verständnis von »Macht« und »Eigeninteresse«

  • Selbstreflexion: Erfahrungen mit »Macht« im eigenen Leben
  • die Bedeutung von Eigeninteresse und persönlichen Beziehungen als Motor, um aktiv zu werden
  • Macht ist nichts »Unanständiges«, sondern »Macht ist die Fähigkeit zu handeln« (Alinsky). Macht in verschiedenen Erscheinungsformen:Macht ist nichts »Unanständiges«, sondern »Macht ist die Fähigkeit zu handeln« (Alinsky). Macht in verschiedenen Erscheinungsformen
    Macht ist nichts »Unanständiges«, sondern »Macht ist die Fähigkeit zu handeln« (Alinsky). Macht in verschiedenen Erscheinungsformen
    Macht ist nichts »Unanständiges«, sondern »Macht ist die Fähigkeit zu handeln« (Alinsky). Macht in verschiedenen Erscheinungsforme

Macht in Form von (viel) Geld

Macht in Form von (vielen) Menschen

Macht in Form von Wissen, Kompetenz, Erfahrungen und Kommunikation.

Selbstverständnis eines Organizers/Organizerin

  • die Grundhaltung: Neugier und Offenheit
  • Reflexion der eigenen ethischen Werte und der persönlichen Haltung zu Religion(en)
  • die Bedeutung des Stiftens von »privat-öffentlichen Beziehungen«
  • der Unterschied zu dem beruflichen Selbstverständnis als Sozialarbeiter/in, Quartiersmanager/in, Berater/in, Planer/in, Pfarrer/in
  • der Unterschied zwischen »Helfen« und »Organisieren«
  • Selbstorganisation
  • die typischen Aufgaben einer/s Organizer/in:

Identifizierung und Entwicklung von lokalen, freiwilligen Führungskräften (»Leaders«)

Aktivierende Einzelgespräche (Eins-zu-eins-Gespräche) führen

Vorbereitung von Sitzungen, gemeinsam mit den Freiwilligen

Gestaltung von effektiven Sitzungen

Formen einer angemessenen Ergebnissicherung

Methoden und Möglichkeiten für Evaluation

Effektives Arbeiten in Gruppen/Organisationen ermöglichen

Anleitung zur Strategieentwicklung und Machtanalyse

Achtung

Gestaltung der Zusammenarbeit vs. Netzwerkarbeit

Bedeutung der lokalen Führungskräfte (»Leaders«)

Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit

  • Fundraising

    • Was ist überhaupt Fundraising (im Unterschied zum »Betteln«)?
    • die Bedeutung von Fundraising für den Aufbau einer eigenständigen Bürgerorganisationdie Finanzierung der »Vorphase«, bevor ein Community Organizing Prozess beginnen kann
    • Schritte zur Entwicklung einer Strategie für die jeweilige Bürgerorganisation
    • Stärken-Schwächen-Analyse
    • Übersicht über mögliche Fundraising-Instrumente für eine Bürgerorganisation
    • eine eigene Strategie entwickeln
Seite 2: Zuhörprozess

Die vier Phasen eines Organizing Prozesses

Die tabellarische Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bietet nur stichpunktartig Anhaltspunkte dafür, was in einem Training gelernt und vor allem auch ausprobiert werden kann.
Die vier Phasen sind ein Versuch, den Prozess zu strukturieren. Sie dürfen aber nicht als strenge Abfolge gesehen werden. Insbesondere die vierte Phase, der Aufbau einer nachhaltig wirksamen, demokratischen Organisation der Zivilgesellschaft (Bürger/innen-Organisation), ist von anderer Qualität als die vorhergehenden Phasen, da sie fortlaufend mitgedacht und weiterentwickelt werden muss.
Die Grafik ist ein Versuch zu verdeutlichen, dass es sich beim CO um einen fortlaufenden Prozess der Weiterentwicklung einer zivilgesellschaftlichen Organisation handelt, bei dem sich einzelne Schritte regelmäßig wiederholen.

Die vier Phasen und ihre einzelnen Schritte – und was dabei jeweils zu bedenken ist

Vorphase: Bevor ein CO-Prozess beginnen kann, muss es Menschen geben, die eine Vision von den Möglichkeiten eines solchen Prozesses haben und ggf. bereit sind, ihn in der Startphase zu finanzieren. Nur wenn es einen klaren Auftrag gibt, kann ein/e Organizer/in tätig werden. Um welche Region/Nachbarschaft soll es gehen? Wie soll der/die Organizerin finanziert werden?

Phase 1: Zuhörprozess. Das Zuhören organisieren

Schritte und Fragen, die zu klären sindWas ist zu tun und zu bedenken – einige Praxistipps
  • Entscheidung: welches Gebiet/Region
  • Ressourcenbedarf klären
  • Training für »Eins-zu-eins« Besuche
  • Zeitplan
  • Durchführen der Zuhöraktion (6-8 Wochen)
  • Auswerten
  • Wer ist der Aktionskern?
  • Wer ist als Zuhörer/in zu gewinnen?
  • Ankündigung der Zuhöraktion
  • Entwicklung eines Gesprächsleitfadens
Versammlung aller Interessierten
  • Die Versammlung niedrigschwellig planen.
  • Den Austausch unter den Interessierten ermöglichen.
  • Dafür sorgen, dass alle Interessierten kommen (eingeladen und ggf. auch angerufen werden).
Vorstellung der Ergebnisse aus der ZuhöraktionWer macht das? Eine gute Chance für neue Schlüsselpersonen: Die Bürger/innen stellen ihre eigene Tagesordnung auf und reagieren nicht nur auf Vorschläge, die von anderen entwickelt worden sind
Entscheidung über PrioritätenDie Themen, die gemeinsam bearbeitet werden sollen, müssen von den Anwesenden entschieden werden.

Aus den genannten Themen wird das (erste) Aktionsthema gewählt:

  • dringend
  • gewinnbar
  • es stärkt die Gruppe
  • sehr konkret

Das bedeutet, es ist zu benennen:

  • Wer tut etwas oder tut etwas nicht?
  • Was tut er oder sie (nicht)?
  • Wem schadet dies? Wer sind die Opfer?
  • Wo passiert das alles?

Der/Die Organizer/in ist hier nicht in der »ersten Reihe«, sondern stärkt die engagierten Bürger/innen, damit sie als Vertretung der Betroffenen agieren können.


Ein Aktionskern muss sich finden, mit Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen und (Eigen-)Interesse an dem Thema haben.

 

Verabredung von Arbeitsgruppen, in denen weiter gearbeitet wird.Wichtig ist, das Problem nicht vorschnell an Vertreter/innen von Parteien oder andere Interessenverbände abzugeben, sondern ggf. die Sicht der verschiedenen Parteien zu diesem Thema herauszufinden.
Sich über eine »vorläufige« Organisationsform und die Grundlage der gemeinsamen Werte und Normen verständigenWas ist unser Absender, wenn wir gemeinsam einen Brief schreiben? Wer unterschreibt? Wer sind unsere vorläufigen Sprecher/innen?
Für Verbindlichkeit in den Absprachen sorgen.


Sich gut überlegen, ob die Presse zur Versammlung eingeladen werden soll oder ob man besser selber berichtet. Die interessierten Einwohner/innen müssen sich ja erstmal selber »finden« und sollten selber entscheiden können, wie sie sich nach außen darstellen.
Seite 3: Recherche und Strategieentwicklung

Phase 2: Recherche und Strategieentwicklung


Schritte und Fragen, die zu klären sind
Was ist zu tun und zu bedenken - einige Praxistipps
mögliche Lösungen zu den gewählten Problemen herausfinden und weitere nächste Schritte entwickeln
  • Welche Informationen brauchen wir?
  • Gibt es Personen/Institutionen, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Problems haben?
  • Wer ist davon betroffen?
  • Was sind die Auswirkungen?
  • Wie wird das Problem in anderen Orten gelöst?
  • Wer hat schon an Lösungen für dieses Problem gearbeitet?
  • Woher bekommen wir die Informationen?
  • Wie ist die Rechtslage?
  • Wer kann und will uns unterstützen?
  • Welche Ressourcen brauchen wir?
Ist das Problem mit Selbsthilfe zu lösen?
  • Eigene Ideen entwickeln, Verantwortlichkeiten klären, weitere Mitstreiter/innen finden,
  • Zeitplan machen
  • Finanzierung? Welche Ressourcen brauchen wir?
oder
Wer ist zuständig und kann/sollte/muss (?) es lösen?
  • Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten herausfinden
  • Wer kann uns geben, was wir brauchen (möglichst eine konkrete Person)?
  • Machtanalyse erstellen
Strategieentwicklung:
  • Was sind unsere Handlungsmöglichkeiten?
  • Es gibt immer mehr als eine Möglichkeit.
  • Es sind (meist) mehrere Schritte notwendig.
Was ist unser Ziel?
  • Was ist die genaue (realistische) Forderung?
  • Wer kann uns geben, was wir brauchen?
  • Die eigenen Stärken und Schwächen analysieren (SWOT)

  • Was fürchtet die Gegenseite ganz besonders?
  • Verschiedene Szenarien durchspielen
  • Aktionsideen – möglichst kreativ und mit Spaß entwickeln
  • Verbündete identifizieren
  • Notwendige Ressourcen klären
  • Taktische Überlegungen
  • Abfolge von möglichen Schritten bedenken (mehrere Szenarien durchspielen)
  • Erstmal einen Brief schreiben? (Wer unterschreibt? Wie nennen wir uns?)
Rolle des Organizers: für effektive Arbeitssitzungen sorgen. Schlüsselpersonen bei der Moderation unterstützen, für Ergebnissicherung sorgen

Seite 4: Gemeinsames Handeln & Aktionen

Phase 3: Gemeinsames Handeln & Aktionen

Schritte und Fragen, die zu klären sindWas ist zu tun und zu bedenken - einige Praxistipps
Gemeinsame Aktionen sollen die Organisation stärken, »Handlungs-Macht« zeigen und allen Beteiligten Spaß machen.
  • Welche Aktion ist geeignet?
  • Was passt zu uns, was können wir gut?
  • Wer? (mit wem)?
  • Wann?(günstiger Zeitpunkt)
  • Wie?
  • Welches Ziel wollen wir erreichen?
Eine mögliche Aktionsform kann auch eine Verhandlung oder eine große Versammlung mit der Person/den Personen sein, die das Problem lösen kann/könnenEin Szenario dafür entwerfen:
  • Wie viele Personen von uns sollten da sein?
  • Wie stellen wir sicher, dass Personen xy kommen werden?An welchem Ort?
  • Wie wird der Raum gestaltet?
  • Wer moderiert?
  • Wer trägt vor?
  • Wie ist die Sitzordnung?
  • Wie wird das Problem dargestellt?
  • Auf welche Fragen soll die eingeladene Person antworten?
Unterstützung organisieren:
  • Wer sind unsere Bündnispartner?
  • Wer hat neben uns auch ein Interesse an der Lösung dieses Problems?
Öffentlichkeitsarbeit gestalten
Wen/Was wollen wir damit erreichen?
  • Vorher klären, worüber berichtet werden soll (Ziel klären)
  • Selbst einen Pressetext schreiben
  • Genau überlegen, ob Presse zu einer Versammlung eingeladen werden soll, oder ob man sie später über die Ergebnisse informiert. (nicht alles der Presse überlassen)
  • Mehrere Schritte (kampagnenmäßig) planen
Verschiedene Formen von Öffentlichkeitsarbeit: Newsletter, Facebook etc.Eine gute Öffentlichkeitsarbeit kann auch eine kleine Aktion sehr wichtig erscheinen lassen. Gute Kontakte zur Presse pflegen
Offenheit für NeuesImmer weiter dafür sorgen, dass mehr Menschen sich aktiv einbringen/beteiligen können
Die Aktion auswerten
  • Was war gut? Was war nicht gut? Wie haben wir uns dabei gefühlt? Was haben wir gelernt? Haben wir unser Ziel erreicht?
  • Ist die Aktion im Einklang mit unseren Werten?
Seite 5: Aufbau einer Bürgerorganisation

Phase 4: Aufbau einer nachhaltig wirksamen, demokratischen Organisation der Zivilgesellschaft (Bürger/innenorganisation)

Diese Phase ist von anderer Qualität als die vorhergehenden Phasen, da sie fortlaufend mitgedacht und weiterentwickelt werden muss.

Schritte und Fragen, die zu klären sindWas ist zu tun und zu bedenken: einige Praxistipps
Effektive Treffen mit Tagesordnung und Zeitplanung
  • Ergebnisse sichern
  • Absprachen verbindlich einhalten?
  • Evaluation
Für guten Informationsfluss sorgenNewsletter, interne Zeitung
Für regelmäßige Evaluationen sorgen
Eigenes Geld beschaffen: Fundraising entwickeln – die Finanzierung auf eine breite Basis stellen
  • Was/Wie viel brauchen wir?
  • Mitgliederbeiträge?
  • Spenden?
  • Eine jährliche Spendenkampagne?Wer könnten mögliche Unterstützer/innen sein?
  • Gibt es kommunale Fördermittel?
  • Zuschussmöglichkeiten über Stiftungen herausfinden
Erfolge feiernWirklich feiern! Die Arbeit in der Bürgerorganisation muss den Beteiligten Freude machen.
Schulung der Schlüsselpersonen (»Leaders«) In einem CO-Netzwerk mitarbeiten, wo die Schlüsselpersonen sich mit anderen austauschen können und Training und Schulung erfahren

Wieder Phase 1: Ein »Zuhörprozess«: das Zuhören organisieren ...

Seite 6: Quellen
Literaturtipp

Bobo, Kim u. a. (o. J.): »midwest-academy-manual: Organize for Social Change«, 4rth edition.

Jamoul, Lina (2007): Handwerkszeug für Community Organizer. In: Penta, Leo (Hrsg.): Community Organizing, Hamburg.

Flanagan, Joan (1982): The Grassroot Fundraising Book, Chicago.